Eine Karriere

»Stopft ihnen doch einfach das Maul … am besten mit ihren eigenen Produkten … steckt ihnen ihre glitzernden iPhones, Tablets, Kühlschränke, Toaster und Autos und Plasmabildschirme so richtig schön tief in den Hals; ihre fucking Burger und Chicken Nuggets und Fritten gleich mit dazu – und alles wird gut. Stopft noch sämtliche Anti-Aging-Cremes hinterher und der Marketingabschaum wird an dem Krempel ersticken und der Rest der Welt genesen. Wenn sie nicht verrecken auch gut, kacken sie eben ihren Zivilisationsdreck wieder aus. Sie werden ihre Scheiße zu neuer Scheiße verdauen … alles kommt hinten raus … alles wird gut. So oder so. Harmlose Biomasse, 100% kompostierbar, environmentally friendly, wiederverwertbar, oder man gewinnt Methan, CO2-neutral? Um Himmels Willen. Doppelscheiße. 200% ökologisch wertvoll. Und die maßlosen Traumverkäufer üben sich nach dieser gigantischen wie schmerzhaften Diarrhoe in angstvoller Zurückhaltung.«

Das war so ziemlich der Schluss seiner letzten öffentlichen Rede. Er war jung gewesen und engagiert. Dann schob er noch nach, schreiend: Wir werden alle manipuliert. In der Hand von Werbepsychologen, Bankern und Informatikern. Der Weltuntergang hat längst stattgefunden.

Am Ende überschlug sich seine heisere Stimme. Halb verständliches Zeug kam dann noch. Silben. Röcheln. Speichelbläschen. Geifernd gegen jeden. Gegen alles.

Und endlich, nach diesem letzten Auftritt als Vorstand der Schülervertretung vor Abiturienten des Kant-Gymnasiums, befreite er sich von allen Aufgaben in der Schule und in seiner linken Jugendorganisation.

Nach dem Abitur ging er nach Amerika. Studieren. Etwas, dessen Ursache und dessen Abläufe für uns Beobachter unbegreiflich bleiben werden, etwas, das vielleicht für nur Wenige vage präsent und nachvollziehbar ist, war mit ihm geschehen.

5 Jahre später bekam er einen Job in Cupertino als Strategic Deals & Risk Management Analyst.

Noch einmal 5 Jahre später wollte er lieber seinen eigenen Apple Store in Los Angeles. Er bekam ihn.

Weitere 5 Jahre später hatte er den Umsatz verdreifacht.

Abermals 5 Jahre später starb er. Darmkrebs. Lebermetastasen. Knochenmetastasen. Und wir wissen nicht, was er sonst noch hatte.

Eine prächtige Karriere. Beneidenswert.

 

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Der Essay Sind wir nicht alle ein bisschen COPY & Paste? wurde beim KUNO-Essaypreis 2013 mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Die Begründung findet sich hier.

Die Redaktion verlieh Denis Ullrich für einen weiteren fulminanten Text den KUNO–Essay–Preis 2015.

Lesen Sie bitte auch: Fragmentarischer Versuch einer Prosaverortung und den Prosaüberflug Lost in Laberland.