Nimm mich

 

Wachküssen sollst du mich.

Wachküssen, das las ich irgendwo. Wie alles.

Im Leben nicht aufgegangen, Kreatur im Schatten.

Fremd und befremdlich.

Immerda und nimmerda. Das ist ein Chaos manchmal.

Und es beschreibt die Welt.

Gelesen. Alles gelesen.

Erdacht, ergänzt, gesagt, geschrieben.

In Form gebracht. Und zitiert.

Der ehrlichste Poet hat unbewusst gestohlen.

 

Nicht deshalb habt ihr genug von mir.

Es ist die Form. Die Grablegung der Sprache

– hat euch verständnislos gemacht.

Wer nimmt mich?

– vor dürstende Augen in einnehmende Hände

… liebkosend, die Sinne gespannt die Lust entfacht

– nach mehr:

Metren zerlegen, Silben begreifen, Maß finden;

Kindheit erinnern, Alter sehen, in sich sein; jetzt!

Erwachen. Wachküssen.

 

Und wenn wir zusammengehörten?

– wie das Salz und der Mahlstrom.

Ich reiße dich hinein ziehe dich hinab

– in die abgründige Seligkeit der Poesie.

Fürchte dich nicht, es ist Geborgenheit.

Was dunkel scheint ist das Licht.

Fremd und vertraut, aufgehend in diesem Leben

– deinem vergänglichen Diesseits: unvergänglich.

Nimm mich und küss mich wach.

Und ich bleibe bei dir.

 

 

 

***

Der Essay Sind wir nicht alle ein bisschen COPY & Paste? wurde beim KUNO-Essaypreis 2013 mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Die Begründung findet sich hier.

Die Redaktion verlieh Denis Ullrich für einen weiteren fulminanten Text den KUNO–Essay–Preis 2015.

Lesen Sie bitte auch: Fragmentarischer Versuch einer Prosaverortung und den Prosaüberflug Lost in Laberland.