Le deuxième sexe

Ich bin so glücklich, sagt Schlange. – Wirklich?, sage ich. – Ich liebe dich sehr, sagt Schlange. – Was heißt das schon, sage ich. – Wir verstehen uns gut, sagt Schlange. – Ja schon, sage ich. – Liebst du mich denn nicht?, sagt Schlange. – Das ist eine andere Sache, sage ich. – Eine andere Sache?, sagt Schlange, sagtest du Sache? – Nenn’s, wie du willst, sage ich, die Liebe ist das eine, und das andere ist … eben das Andere. – Das Andere, sagt Schlange, was meinst du damit? – Schlange, sage ich, machen wir uns nichts vor, im Prinzip führen wir immer Krieg. – Das ist ja wohl das Letzte!, sagt Schlange. – Schlange, sage ich, wir schlagen uns nicht, aber wir verletzen uns trotzdem immer wieder. – Ach so, sagt Schlange, aus welchem Buch hast du das jetzt wieder? – Simone de Beauvoir, sage ich, Das andere Geschlecht. – Das ist ein alter Hut, sagt Schlange. – Nein nein, sage ich, rede das jetzt nicht weg! – Wir haben doch schon lange unseren Frieden geschlossen, sagt Schlange, wir lieben uns wirklich. – Du täuschst dich, sage ich, das, was du unsere Liebe nennst, ist nur eine unwahrscheinliche Serie glücklicher Waffenstillstände. – Du denkst zuviel, sagt Schlange. – Einer muss es tun, sage ich, ich will mich jedenfalls nicht betrügen. – Ach, sagt Schlange, du willst dich nicht betrügen? – Ja, sage ich. – Weil es dich quält, wenn du mich betrügst?, sagt Schlange. – Nein, Schlange, sage ich, das würde ich dir anders sagen. – Würdest du mir dann den Krieg erklären?, sagt Schlange. – Das ist unmöglich!, sage ich. – Wieso, sagt Schlange. – Weil wir schon im Krieg sind, sage ich. – Seit wir uns damals verliebten?, sagt Schlange. – Ja, sage ich. – – –

Liebst du unseren Krieg?, sagt Schlange. – Ja, sage ich, ich habe Angst, dass unsere Liebe endet, wenn Frieden ausbricht. – – –

Führst du viele Kriege?, sagt Schlange. – Kommt darauf an, sage ich, wie man’s betrachtet. – Antworte mir ehrlich!, sagt Schlange. – Ich will dich nicht verlieren, sage ich, du bist meine liebste Feindin!

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.