Hiddensee

Schlange, sage ich, ich fühle mich so wohl auf dieser Insel. – Ich weiß gar nicht, warum, sagt Schlange, mir ist das hier alles viel zu östlich. – Das ist meine Heimat, sage ich, hier finde ich zu mir selbst. – Klar, sagt Schlange, du lebst nur in deiner Welt, darin komme ich gar nicht vor. – Aber Schlange, sage ich, wo ich bin, bist auch du. – Gestern war ich allein, sagt Schlange, du hattest nur Augen für deine Insel. – Das eine schließt das andere nicht aus, sage ich. – Du liebst nur das eine, sagt Schlange, dich selbst, alles andere ist dir egal. – Nein, Schlange, sage ich, ich liebe dich wie mich selbst. – Das glaube ich nicht, sagt Schlange, vielleicht willst du lieber eine Ostfrau. – Unsere Liebe steht über Ost und West, sage ich, ich suche keine Ostschlange. – Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll, sagt Schlange, ich fürchte, du bist scharf auf das Gift einer Ostschlange. – Niemals, sage ich, ich vertrage ja schon dein Gift kaum. – Herzlichen Dank, sagt Schlange, quod erat demonstrandum!

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.

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