Standardfragen

Schlange, sage ich, du hast mich schon lange nicht mehr gefragt. – Was denn?, sagt Schlange. – Ob ich dich noch liebe, sage ich. – So eine Frage ist doch der reine Unsinn, sagt Schlange. – Ja, sage ich, das dachte ich auch immer, wenn du mich fragtest. – Du dachtest, ich rede Unsinn, sagt Schlange. – Ja, sage ich, was denn sonst? – Und jetzt fragst du mich, warum ich diese Unsinnsfrage nicht mehr stelle, sagt Schlange. – Ja, sage ich, ich mache mir Sorgen. – Sorgen?, sagt Schlange, spinnst du? – Ja, sage ich, weil du  dich änderst. – Hast du mir nicht immer gesagt: Schlange, wir dürfen nicht stehen bleiben, Schlange, wir müssen uns immer weiter entwickeln? – Ja, sage ich, aber ich hatte mich an deine Frage so gewöhnt, dass sie mir schließlich sinnvoll vorkam! – Ach, sagt Schlange, erscheine ich dir jetzt sinnlos? – Nein, sage ich, ich erkenne jetzt, wie sinnvoll das Sinnloseste manchmal sein kann. – So, sagt Schlange, ich finde, es ist genau umgekehrt! – Schlange, du willst doch nicht sagen, dass das Sinnvolle sinnlos ist! – Nicht im allgemeinen, sagt Schlange, aber in deinem Fall immer öfter. – Du liebst mich nicht mehr, sage ich. – Doch, sagt Schlange, aber mir ist es lieber, du fragst mich nicht danach.

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.