Apotheose

 

Schlange, sage ich, ich habe Hunger. – Auf was denn, fragt Schlange, willst du mich? – Nein, sage ich, ich habe nicht den großen Hunger. – Dann koch dir was, sagt Schlange. – Ich weiß nicht was, sage ich, hast du eine Idee? – Ja, sagt Schlange, nimm Makkaroni, ein halbes Pfund genügt, koch sie 8 Minuten lang in leicht gesalzenem Wasser al dente… Inzwischen schneidest du 200 Gramm gekochten Schinken in kleine Würfel, und wärm den Ofen vor – auf 180°C… Schlage sechs Eier in eine Schüssel und vermisch Eigelb und Eiweiß, immer links herum! – Gut, sage ich, ich verrühr die Eier im Takt der Schicksalssinfonie. – Aber nicht zu lange, nicht zu heftig, sagt Schlange, bis zur Reprise schlagen reicht. – Gut, sage ich, … und  jetzt? – Nudeln abschütten, sagt Schlange, mit kaltem Wasser kurz abschrecken, Butter untermischen… Gefällt dir das Vorspiel? – Ja, sage ich, es ist fast noch schöner als mit dir.

Wir kommen nun zum eigentlichen Akt, sagt Schlange. Reib die Jenaer Glasschüssel mit Butter ein und füll die Nudeln in die Form, das erste Drittel. – Schlange, sage ich, der Nudelauflauf ist wie ein herzhaftes Tiramisù – dazu passt ein herbes Bier, etwa Bitburger, oder ein einfacher Tafelrotwein aus der Toscana oder von der Ahr, aber auch mild perlendes aqua minerale ist opportun. – Denk, was du willst, sagt Schlange, konzentrier dich auf die Nudeln! Nimm jetzt den geriebenen Gauda – nicht alles! Immer ein Drittel! Die Schinkenwürfel! – Das ist ja echte Knochenarbeit!, sage ich. – Aber du siehst, sagt Schlange, wie leicht du mit mir zusammenspielst! – Die Liebesarbeit gefällt mir besser, sage ich. – Lenk nicht ab, sagt Schlange, nun setzen wir die Geheimwaffe ein: Maggi. Spritz die Flasche aufs Ganze, das sickert dann bis unten durch. – Okay, sage ich, ich spritze im Takt der Gigue von Bach. – Gib auf die oberste Schicht noch ein paar Flocken Butter, sagt Schlange. – Eine subtile Verfeinerung erreicht der philosophische Koch, sage ich, wenn er noch etwas geriebenen Parmesankäse drüber streut. – Schieb jetzt die Form in den Ofen, sagt Schlange, in 40 Minuten kannst du deine Philosophie essen.

Ich umarme Schlange, Schlange umarmt mich. Mit Handschuhen gegen die Hitze der glühenden Form bewehrt, ziehe ich die gebrannte Synthese aus dem Feuerofen, das Kind unserer Verwandlung von Theorie in Praxis. Der Rest ist Schweigen, denke ich, vielleicht die sicherste Philosophie, jedenfalls die beste Bedingung beim Essen. – Schmeckt es dir?, fragt Schlange. – Phantastisch, sage ich, zusammen mit dem Wein erreiche ich den Zustand, den die spätmittelalterlichen Erotiker des Glaubens unio mystica nannten. – Ach du, sagt Schlange, du meinst die Verschmelzung deines Kopfs mit einer Theorie, die du aufessen kannst! Ich freue mich, dass es dir so gut schmeckt. – Ja, sage ich, es ist eine einzige Apotheose der gesamten Körperchemie. – Nicht die einzige, sagt Schlange. – Was sonst?, frage ich. – Ganz einfach, sagt Schlange, ich habe großen Hunger!

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.