Reisepass für das Paradies

I

Die Augen der Frau wackelten einige Male, bevor sie in die Laubblätter fielen, und die Laubblätter schauten nun mit den gelben Augen der Frau in die Augen des Windes. Im nächsten Augenblick wurde der Himmel trüb und die Zweige entkleidet. Die Frau brachte, ohne zu wollen, den Herbst.

II

Wenn zumindest der Nebel aus meiner Hand wegziehen würde, dachte sie, damit ich das Ferkel malen kann, so lange es noch dieses rosige Gesicht hat.

Und außerdem muss ich das Gras von den Stimmbändern der Sänger dieser lustigen Anstalt schneiden, sonst droht es, weil es zu stark nach dem Regen wuchs, die Melodie zu zerkratzen.

Lacht ihr nur, lacht mich aus, euer Mund darf sich meinetwegen wie ein Schleudergummi dehnen, dachte weiter die Frau, denn ich hab mich nicht anders benommen – das weiß ich haargenau – als unser Apotheker Blumenthal, der schon lange nicht mehr in der Apotheke, sondern nebenan, auf der grünen Bank sitzt. Und auch nicht viel anders als der reitende Herr General.

Ich habe nur eine andere Beschäftigung hier: entweder den Gesangchor oder das Malen der vielen Hunde und Krähen dieser lustigen Anstalt.

Am liebsten male ich den rosigen Aristoteles, aber nur dann, wenn Herr General ihn nicht reitet, nämlich wenn Herr General nach der Spritze einschläft und nicht mehr an die Front muss.

Ich male, wie ich schon sagte, Herr General reitet das Ferkel oder schläft ein, und unser Apotheker Blumenthal reißt den ganzen Tag Blätter aus einem karierten Heft: seine handgeschriebenen Reisepässe für die Leute dieser lustigen Anstalt aus der nordöstlichen Moldau, die nach Frankreich, Papua, Grönland und woanders hinziehen wollen. Ich erinnere mich nicht mehr an die Namen der anderen drei, vier Zielländer, und wozu auch?

Ich will doch nirgendwo hingehen, mir haben die Kommunisten nichts ausgemacht, weil sie auch nichts anders waren als ich und unser Apotheker Blumenthal, der nicht mehr in der Apotheke…oder als der auf dem Rücken des Ferkels reitende Herr General.

Die Kommunisten waren lustige Leute wie wir, nur nicht so bescheiden. Um ihre Luxusanstalt zu kriegen, machen sie eine Revolution!

III

Nur sie ist uns nicht ähnlich gewesen, erinnerte sich die Frau, die schien, als hätte sie ihre Gedanken in verschiedene Wollknäuel aufgewickelt. Äste, rostige Drahtstücke, zündende Specksteine und alles, was Jesus ihr sonst schickte, sammelte sie in einem Kopftuch und nachts küsste sie diese Teile und kniete davor wie vor einer Ikone.

Keiner wusste ihren Namen, aber wir riefen sie Maria Magdalena.

Nur sie hat von unserem Apotheker Blumenthal einen Reisepass für das Paradies.

Ich erinnere mich nicht mehr, in welchem Land das Paradies war. Und wozu auch?

Ich wollte doch nirgendwo hingehen, und vor allem nicht dorthin, wo ich nackt durch den Apfelgarten spazieren müsste.

IV

Während sie erzählte, flogen die Laubblätter zum Himmel und schauten mit den gelben Augen in die Augen der Wolken.

Im nächsten Augenblick verdunkelte sich der Himmel und fing an zu stürzen.

Die Frau erschuf, ohne zu wollen, eine zweite Erde.

Die Anstalt verschwand.

 ***

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