Schreib wie du willst – aber

finde deine Art der Selbstdisziplin. Ohne sie ist noch nie ein gutes Kunstwerk geschrieben worden. Ich meine keine Disziplin der Regeln und der gesellschaftlichen Normen. Ich meine die handwerkliche und künstlerische Arbeit, die erforderlich ist, um das Talent und die Idee wirklich umzusetzen.

Der Autor eines Dramas kann den Text nicht einfach rausrotzen, Schauspieler können ohne die verdammten Wiederholungen und Umänderungen in den Proben kein Stück gut auf der Bühne realisieren. Auch ein Lyriker muss schreiben schreiben schreiben, verwerfen, streichen, korrigieren, umformulieren, sich zurückhalten und langsam reifen.

Innere Monologe im Klein-Format in die Tasten hauen, das können viele! Aber das ist noch nicht die Literatur, die ich und viele anspruchsvolle Leser und Autoren lesen wollen, und es ist auch nicht das, was manche leisten könnten.
Es ist eine schlechte Mode, Leistung zu verteufeln. Ohne Leistung können wir kein Kind gut erziehen, keinen Patienten gut behandeln, noch nicht einmal in der Liebe uns bewähren.

Es ist das alte Lied: Hinter der pauschalen Kritik an der (Selbst-)Disziplin kann man wunderbar leicht seine Faulheit verstecken, und als Schriftsteller ein Leben lang als Talent herumlaufen – eine Variante des Hochstaplertums.

Jeder Autor ist und bleibt frei, wenn er das will. Der Autor soll sich nicht dem Markt beugen, sondern seine Freiheit ausleben, die ihn zur Qualität verpflichtet: zur Stimmigkeit, Echtheit, zu Streben nach Wahrheit, auch zu handwerklich guter Arbeit. Sich selbst muss er alles abverlangen. Es geht ihm gerade nicht um Normerfüllung, sondern um das Neue oder Eigene, das literarisch Weiterentwickelte.

Die Motivation kommt nicht so leicht von außen oder innen. Auch die Motivation will oft erarbeitet sein.

Mich stört der schnelle, tägliche Kurztext, ein Ich-Geschwätz mit hochtrabenden Titeln, ein Text aus der Ego-Werbeagentur verlogener Poesie, Scheindichtung,  Geschwafel in ausgeleierten Hülsen vermeintlicher Eleganz… Die Dummen applaudieren da sofort, wenn die schönen Worte fallen, wie sie auf Marmeladen-Etiketten stehen. Ich empfinde das kunstlose Abreagieren von Gefühlchen als Sprachverletzung. Der Verzicht auf literarische Ansprüche führt geradewegs in die Beliebigkeit. Es darf nicht egal sein, was ich schreibe. Disziplin ist keine treibende, sondern das Treiben ordnende Kraft.

Oft spüre ich, wie ich spiele, wenn ich schreibe, das Schreiben als reine Umsetzung meiner Ideen macht mir Vergnügen. Wenn ich etwas aus mir herauslasse, geschieht es fast von allein, mal mehr, mal weniger, da ist eine ernstere Seite, etwa die Gewalt, die in vielen meiner Texte zum Ausdruck kommt, vermischt hier und da mit dem mehr oder weniger bewussten Willen etwas mitzuteilen. (Selbst-)Disziplin ist eine Art Metadenken, dass ich das zunächst Wilde forme – oder bewusst auch nicht! –  das geht von der Revision eines Textes über das Neuschreiben bis hin zur völligen Zurücknahme eines Textes.

Im übrigen: Es gibt auch wunderbares Geschwätz. Etwa das Parlando in Mozarts Opern und Klavierkonzerten, oder in Schuberts Klaviermusik über der Tiefe. Dann Bachs Strenge, oft mit melodischer Süße vereint, und rhythmisch rasant: Die Kadenz im 5. Brandenburgischen Konzert. Schostakowitschs dunkle Dramatik. Das gehört alles zusammen. Auch in der Literatur. Thomas Bernhard ist einer der Meister, die Strenge, Parlando und Tiefe großartig amalgamieren.

Als dialektischer Denker, der ich nun mal bin, sage ich: Meine Auffassung von Disziplin verhindert kein Genie, keine geniale Tat – sondern ermöglicht sie geradezu. Denn erst ein Meta-Denken erkennt und realisiert die primären Impulse und Expressionen, Intuitionen und Spontaneitäten. Wer die Regeln kennt, kann sie auch besonders gut überschreiten, ohne in dummen Wiederholungen zu ersticken. Disziplin ist kein Tranquilizer, sondern fördert Zündung und Gestaltung der Phantasie.

Ich bin angewiesen auf Spontaneität, Ideen, Einfälle, irrationalen Eingebungen und Gestaltungen – Angst vor Disziplin habe ich beim Schreiben noch nie gehabt. Und das ist ja auch klar: Meine Selbstdisziplinierung ist zunächst null oder ganz gering (beim Denken, Entwerfen) und kommt immer erst danach und erlöst mich sogar von dieser irrationalen Springflut. – Angst vor der Disziplin haben vielleicht die, denen der Schacht von innen nach außen fehlt – oder jene, die Disziplin mit einer politischen Befürchtung konnotieren.

Die Disziplin, die mir Elternhaus und Schule abverlangte, gefiel mir nicht, ich litt oft sehr darunter. Aber mit der Disziplin, die ich mir freiwillig für mein Werk abverlangen muss, ist es etwas ganz anderes. Demokrit nennt die guten Folgen der Disziplin, den Segen der Ordnung und der Effizienz. Das gilt auch für größere literarische Arbeiten.

 Mir hat jedenfalls weder das (oft zu strenge) Elternhaus noch die (oft zu kleinkarierte) Schule die Erkenntnis des Richtigen, Angemessenen, Nützlichen und Notwendigen nehmen können

Ich habe Disziplin, die mir von Lehrern/Lehrenden abverlangt wurde, manchmal durchaus lieben können, etwa als ich Latein fürs Abitur lernte (und den Lateinlehrer mit meinen Freunden zusammen selber bezahlen musste), und in den abendlichen Abiturkursen verliebte ich mich sogar in die einst gehasste Mathematik.

 Was einem wehtut, muss immer in größeren Zusammenhängen gesehen werden – der Schmerz des freien Lernens, der freien Disziplin lässt sich verwandeln in einen süßen Schmerz, der sich sogar ein weiteres Mal verwandeln kann in Lust. Es ist wie in der Liebe, und so sind mir gerade die schmerzenden Bücher und Gedanken die schönsten und lustvollsten. Der Schmerz der disziplinierten Arbeit ist gleichsam das Vorspiel der Erkenntnis.

Fazit: Erst auf dem Fundament hart erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten kann sich ein Genie entfalten und seine Ideen realisieren und gestalten, was ihm aufgetragen wird aus tiefstem Inneren, willentlich und bewusst oder gar von außen. Ohne Disziplin vor und während der Entstehung des Werks gelingt nicht viel.

Alles nur Binsenweisheiten – Tautologien, also wahr.

 

 

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Aus der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft Gedanken über das lyrische Schreiben.

Weiterführend → Holger Benkel schreib zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.