Was ich will

 

Ich will ein Kompendium meiner Welt-Anschauung schreiben, und da ich die Welt bin, ein Kompendium meiner selbst: Als Theater, als Spiel mit der Welt, also mit mir.

Und doch stehe ich auch in einem Leben, das ich nicht bin, in dem ich werde. Und was ich nicht werden kann, spiele ich in meiner Sprache.

Ich lebe eine unio mystica mit meinem alter ego, also mit der Welt in mir und außer mir: Ganz werden, ganz sein in der Metamorphose von Fragment zu Fragment. Das Fragment ist das Atom des Ganzen. Dabei ist mein spielendes Ich absolutistisch stark: Ich leite mich von mir selbst ab.

Mein Über-Ich ist Spielball des starken Ichs. Die Herrschaft des Es will ich nicht. Ich will die absolute Herrschaft des Ich, die eine intersubjektive Vernunftherrschaft des Einzelnen über sich selbst ermöglicht. Erst solche Ichs, die eine Herrschaft des Über-Ichs nicht benötigen, geben die Freiheit, eine mündiger lebbare Außenwelt zu erschaffen.

Die interne Affirmation meines Ichs (ich, Gott, bete mich an) ist die dialektische Voraussetzung seiner Aufhebung. Die Synthese ist nicht die Herrschaft eines Über-Es, sondern die Erhebung meines Unter-Ichs zu einem Ich der freien Mit-Ichs, um mich freier und reicher zurückzuerlangen.

Der dialektische Eskapismus ist eine weitere Voraussetzung, die eigene, und dann die Wir-Geschichte zu gestalten.

Mein höchster Wunsch ist Selbsterschaffung als Gegenbewegung zur Welt, wie sie mir  widerfährt und mich verwundet.

Das Schreiben hat immer auch eine therapeutische Dimension, als Trost und heiteres Spiel mit mir und der Welt.

In der Tat, das ist die größte Aporie, zugleich der größte innere Widerspruch in (m)einem Leben: Zu wünschen, dass die Welt gebessert  und der Tod besiegt werde, und insgeheim zu hoffen, dass sie ungefähr bleibe, wie sie ist, weil ich ohne Verletzung, ohne Todesgewissheit gar nicht leben, also gar nicht schreiben könnte.  Ich könnte mich sonst nicht gebären, und mir bliebe unbewusst, dass sich die Welt in mir erschafft.

Ich will diese Widersprüche dialektisch begreifen, weil ich muss, und nur so, in einem ernsten Spiel, kann ich sie erleiden, er-leben, er-tragen und aufheben. Ich bin ein gesalbter Sisyphos.

Das doppelte Aufheben von These und Antithese, diese von Hegel geschaffene Denk-Bewegung, ist meine formale Religion.

 

 

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Weiterführend → KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.