Dichtungsring und Krautgarten

Vorbemerkung der Redaktion: Es herrscht die Annahme, das Netzwerk sei erst mit dem Internet erfunden worden, es gab jedoch eine Zusammenarbeit von Individuen bereits auf analoger Ebene. KUNO dokumentiert den Grenzverkehr im Dreiländereck:

Schon seit 1992 haben Krautgarten und Dichtungsring freundschaftliche Beziehungen. Im Krautgarten hatte ich 1990 meine allererste Veröffentlichung (Gedichte), seither bin ich über 30 Mal in dieser Zeitschrift veröffentlicht worden, die sich dem Gedanken der Euregio und der Kultur der deutschen Sprache in allen deutschsprachigen Regionen verpflichtet fühlt, aber auch der Gemeinschaft mit den Nachbarsprachen in Flandern, der Wallonie und im Lëtzebuergeschen. Ich erinnere mich an die vielen langen Telefongespräche, die ich mit Bruno Kartheuser über seine literarische und redaktionelle Arbeit hatte, und die ausführlichen Briefe, die wir uns schrieben. Es ging auch damals schon um seinen Kampf gegen die Niermann-Stiftung, deren nationalsozialistische Wurzeln und weiterwirkende nationalistische Einflüsse er bekämpfte.

Als 1992 die Gedichtzyklen von Leo Gillessen, Bruno Kartheuser und Robert Schaus unter dem Titel Zeitkörner erschienen, schrieb ich eine ausführliche vergleichende Rezension, es war meine erste überhaupt. In einem Brief vom 2.2.1993 an mich beklagte Bruno die „traditionelle Stummheit der ostbelgischen Eifel“. Es wird hier klar, dass der Krautgarten früh bestrebt war, über den eigenen Gartenzaun zu schauen. Das hat der rührige Herausgeber mit seiner Crew dann auch in die Tat umgesetzt und ausufernde Beziehungen geknüpft – nach der Pflege der heimatlichen und nachbarlichen Sprachen und Literaturen ging es verstärkt in die Region Aachen-Trier-Koblenz-Bonn-Köln, dann ins wiedervereinigte Berlin, nach Österreich und in die Schweiz – es gab Sondernummern zu diesen großangelegten Exkursionen mit namhaften Autoren – um nur einige Autoren der Berlin-Nummer zu nennen: F. C. Delius, Günter Grass, Walter Höllerer, Stephan Krawcyk, Günter Kunert, Oskar Pastior, Kathrin Schmidt, Peter Schneider, Richard Wagner, Ulrich Woelk … Die Weltoffenheit ist dem Krautgarten bis heute geblieben – als Lebens- und Überlebens-Elixier. Ganz am Anfang standen auch wir vom Dichtungsring, das war schon eine andere, wenn auch noch nicht die weite Welt.

Im März 1992 hatte sich der Dichtungsring eine Vereinssatzung gegeben. Im September nahmen Eje Winter und ich an der Autorenlesung im Rahmen des 23. Münstereifeler Literaturgesprächs teil, von dem das WDR III-Radio berichtete. Zum Thema Entgrenzungen im Kern Europas lud der Krautgarten einige seiner Autoren zur Teilnahme an diesem 3-tägigen Symposion ein.

Der Dichtungsring besuchte den Krautgarten in St. Vith im April 1993 mit einer 7-köpfigen Abordnung, zu der auch Ines Hagemeyer, Eje Winter, Gerd Willée und ich gehörten. Nach dem Mittagessen in einem St. Vither Restaurant und dem Besuch einer Ausstellung von Irene Gillessen im Rathaus veranstalteten wir dort eine Lesung der Redakteure.

In Heinrich Bölls Haus in Langenbroich begegneten wir Dichtungsringer am 25. September 1993 erneut den Krautgärtnern. Nach einer Lesung der Autoren kam es zur Diskussion über Probleme des Schreibens im deutschsprachigen Randgebiet Ostbelgiens: „Kritische Masse – Regionalliteratur – Grenzräume – Wirksamkeit des Schreibens“. An dem Gespräch nahm auch der Priester und Künstler Herbert Falken teil, ein Freund Heinrich Bölls. Der Dichtungsring war beteiligt mit Eje Winter, Jörg Kohnen-May und Ulrich Bergmann.

Francisca Ricinski, Eje Winter und ich sind mehrmals im Krautgarten veröffentlicht worden; umgekehrt wurden Bruno Kartheuser, Leo Gillessen und Robert Schaus im Dichtungsring publiziert.

Ich bin seit etlichen Jahren Mitglied des Krautgartens und berechtigt, an den Mitgliederversammlungen mit Stimme teilzunehmen. Im Jahr 2004 nahm ich mit Leo Gillessen, Robert Schaus und Dietmar Sous an einer Autorenlesung im Belgischen Haus zu Köln teil.

Der Dichtungsring bekam zum 25-jährigen Jubiläum Besuch aus St. Vith: Bruno Kartheuser, Leo Gillessen und Robert Schaus reisten nach Bonn und nahmen am 21. Oktober 2006 an unserer Feier im Haus der Literatur und am anschließenden Abendessen in einem Ristorante der Altstadt teil. Der Krautgarten brachte danach ein Porträt des Dichtungsrings mit Texten von Eje Winter, Francisca Ricinski, Ines Hagemeyer und mir im Mittelteil der Nr. 49,2006.

Der Krautgarten gibt zwei Nummern im Jahr heraus, er wurde ein Jahr nach dem Dichtungsring gegründet. So fuhren Ines Hagemeyer und ich ein Jahr nach unserem Jubiläum nach Eupen, wo der Krautgarten im Beisein der Kulturministerin Isabelle Weykmans sein Jubiläumsfest im Rahmen einer Ausstellung von Robert Schaus im Regierungsgebäude feierte. Der Krautgarten brachte Rezensionen zu zwei Büchern von mir, zuletzt in der neuesten Ausgabe über meinen Roman „Doppelhimmel“, kürzlich auch zu Ines Hagemeyers Gedichtband „aus dem Gefährt das dir Träume auflädt“.

Die Beziehungen zwischen Dichtungsring und Krautgarten sind zwar nicht eng und literarisch gesehen nur wenig konkret, was die Zusammenarbeit beider Gruppen anbetrifft, aber herzlich und beständig. Vor Jahren erklärten wir uns solidarisch mit dem Krautgarten in seinem Kampf um öffentliche Gelder der ostbelgischen Regierung und vor allem mit Bruno Kartheusers langjähriger Aufarbeitung faschistischer und nationalistischer Strömungen, die bis zum heutigen Tag nachwirken, etwa in der Niermann-Stiftung, die im autonomen Gebiet der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens großen Einfluss hatte. Ihre Solidarität erklärten namhafte Autoren: Michael Buselmeier, Elke Erb, Herbert Falken, Ludwig Harig, Gert Heidenreich, Franz Hohler, Hadayatullah Hübsch, Norbert Hummelt, Heinz Kahlau, Jürgen Kross, Herbert Laschet, Werner Laubscher, Wendel Schäfer, Landolf Scherzer, Imre Török, Aglaja Veteranyi … etliche von ihnen Autoren des Krautgartens. Es kam schließlich zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die Bruno Kartheuser und seine Mitstreiter verloren.

Und viele Misslichkeiten blieben bestehen. In einem Brief an mich vom 11. April 1996 schrieb Bruno:

„Lieber Ulrich, ganz schön subversiv Deine Post, wenn Du schreibst, die Arthur-Texte seien ein Vorschlag für den Herbst-KRAUTGARTEN, denn wie willst Du wissen, ob es dann noch einen KRAUTGARTEN gibt …? Es ist schon zutreffend, daß die Folgen der lustvollen Fürsorge meiner Nazis in Düsseldorf und St. Vith mich voll erwischt haben. Pro Woche im Durchschnitt bewerbe ich mich um eine Arbeit, aber der Respons ist dünn, und spätestens ab dem Sommer bricht der Ernst aus in der beruflichen Selbstversorgung. Manchmal gibt es Erheiterung, – so, wenn ein Journalist vorbeikommt, der seit längerem an einem Rundfunkportrait unserer Situation arbeitet; oder ich selbst ein Dutzend Interviews in der Gegend aufzeichne für einen flämischen Sender; oder wieder einmal eine Seite mir gelingt oder ein neues Schreibprojekt mich anfällt. Ringsum ist totales Schweigen, bei den einen aufgrund faschistischer Ausgrenzungsroutine, und bei den andern aus atavistischer Unbedarftheit und Wortbedürfnislosigkeit. Tröstlich hebt die Natur sich ab, die ihre Jahreszeitanwandlungen kriegt und mit der man auf eigentümliche Weise reden kann. Wir arbeiten ernsthaft am neuen KRAUTGARTEN, der im Mai/Juni erscheinen soll, für den aber noch nahezu alles Geld fehlt. Meine Offiziellen in Eupen haben mich vor zwei Wochen erstmals seit August über meine Finanzerwartungen belehrt, und das heißt: kein Geld bis zum Herbst, sie legen aber größten Wert darauf mir zu versichern, daß ich natürlich ungehindert arbeiten darf – abgesehen davon, daß sie sich einen andern KRAUTGARTEN wünschen, einen, den auch sie mit Lust und Gewinn lesen könnten, mit mehr Volk und Tum und Boden. …“

Es ging wieder aufwärts. Im August 1996 erhielt  die ostbelgische Literaturzeitschrift KRAUTGARTEN den Walter-Hasenclever-Preis der Stadt Aachen (Förderpreis).

Auf dem Sommerfest 2013 in St. Vith war der Dichtungsring nach längerer Pause mit Francisca Ricinski, Susanne Schmincke und mir anwesend. Wieder sieht Bruno Kartheuser seine Zeitschrift gefährdet, weil Eupen nur einen halben Geschäftsführer finanzieren will. Aber wir wissen aus langer Erfahrung: Der Krautgarten ist ein gelernter Phönix, der seine Asche kennt und wieder unter sich lässt auf seinen Ikarusflügen durch die Sonnenwinde des Buchstaben-Universums. In meinem Brief vom 31.1.2006 an die autonome Regierung der deutschsprachigen Gemeinschaft steht, was auch jetzt wieder gilt:

„Einen besseren Botschafter der international gedachten Kultur des EUREGIORaums kann ich mir gar nicht vorstellen. … Kartheuser und Co. haben Ostbelgien tatsächlich zu einem literarischen Standort gemacht, was es vor dem Ersten Weltkrieg nicht war … Das sollte die derzeitige Kulturpolitik weiterhin ermöglichen. Ich weiß, dass Herr Kartheuser wegen seines moralpolitischen Engagements – Aufarbeitung der Geschichte in der Zeit des Faschismus, Kritik an belgischen Verstrickungen mit der dubiosen Niermann-Stiftung – auf politischer Ebene nicht von allen so geschätzt wird wie von liberal gesinnten Bürgern Belgiens oder Deutschlands. Ich hoffe, dass derartige Motive nicht dafür ausschlaggebend sind, dem KRAUTGARTEN die Mittelverstärkung zu versagen, so dass seine Existenz bedroht erscheint. Bedenken Sie Ihre Politik! Bedenken Sie, dass wir in Deutschland, wir Rheinländer, den KRAUTGARTEN, diese grandiose Zeitschrift lieben! Bedenken Sie den Schaden, den wir alle erleiden, wenn Ostbelgiens bester Multiplikator eingeht. Der KRAUTGARTEN ist auch unsere Heimat, tief im Westen, er ist eine Brücke nach Belgien!“

 

 

 

Grenzgänger der Literatur

Weiterführend →

Ein Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Bruno Kartheuser finden Sie hier.

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