Eine Basis finden

Wie bei ihrem Künstlerbuch Schattenfluss läßt sich auch die im Rheintor vorgestellte Arbeit von Stephanie Neuhaus in drei Schlagworte fassen: nüchtern, beobachtend und pointiert.

In Fund a Mente geht sie einen Schritt weiter, die Artistin nutzt Zinkplatten als Hochdruck und beschränkt sich konsequent auf die Trennschärfe zwischen Schwarz und Weiß. Der Titel verweist darauf, daß die Grundlagen der Betrachtung schwankend geworden sind, was übrig bleibt, sind Schnitte und Ausschnitte. Der Betrachter konstruiert seinen Sinnzusammenhang selbst

Unabwendbar für Architekturen allemal, daß diese auf haltbaren Fundamenten ruhen, die nicht einfach dahingehen können. Eine statische Sicherheit finden. Über den Moment hinaus. Nach dem ersten ihrer Künstlerbücher, die sich mit ästhetischen Untersuchungen architektonischer Möglichkeiten und Grenzen ihrer Wahrnehmung befassen, „Favelas“, schaut Stephanie Neuhaus nun unter die Gebäude und befragt mit »Fund a Mente« die wacklige Basis.

Wie gewohnt rau und vereinfachend, entstehen auf dem Weg des Schneidens von Zinktafeln geometrische Figuren, die ganz knapp an den Gewohnheiten unserer Betrachtung vorbeischrammen, an den Oberflächen glatter Kühle schmerzhafte Wunden hinterlassen und im Betrachter eine Vielzahl verwunderter Fragen evozieren. Da werden die Formen seltsam gestaucht, an fragwürdigen Stellen verstümmelt, manchmal scheinbar überlagert. Das gebrochene Schwarz der Drucke läßt das neue Künstlerbuch authentisch erscheinen, denn überall könnten diese Brüche entstehen.

Neuhaus ist mit ihrem neuen Buch ein weiterer Pflastersteinwurf gelungen, der absichtlich schmerzhaft auf die Augen zielt und wie ganz nebenbei mit Wucht trifft. Die Artistin verfolgt das Ideal eines Künstlerbuches, sie untersucht das Wesen des Schlagschattens in ihren Schnitten. Ein Buch für Liebhaber der schwarzen Kunst.

Jeder, der die bisherigen Arbeiten von Haimo Hieronymus kennt, weiß, daß bereits der Titel „Aquatik“ pure Ironie ist. Wer so ein Mißtrauen gegenüber dem Meer hat, wen es dermaßen langweilt, daß er vor Jahren schon auf die Frage, wie es denn an der Nordsee gewesen sei, antwortete:

„Schwaaaaap – schwaaap – schwaaap“, der kann einfach kein Buch machen, daß frei ist von ironischen Sarkasmen. Bei all dem bleiben seine Texte doch auf sympathische Weise liebenswert und wollen nur ganz nebenbei abrechnen. Zuweilen entglitt seinem stoischen Gesicht ein zunächst zaghaftes, dann aber dauerhaftes Schmunzeln der Selbstertappung. Da erkennt Hieronymus plötzlich, daß die vielzitierte frische Meeresbrise eigentlich gar nicht so frisch riecht, wenn man nur ehrlich ist, daß der Kaffee in Strandcafés anders als erwartet kommt – oder eben nicht; wie die lieben Mitmenschen sich plötzlich verhalten können und in welche Rolle man sich selber versetzt sieht.

Solange es Menschen gibt, die sich der Mühe unterziehen, mit Worten etwas Unkonventionelles anzustellen, muß einem nicht bange sein um ein Beobachtungsfest, wie es in »Aquatik« von Hieronymus zu kürzesten lyrischen Texten verdichtet wird. Im Anschluß an das letzte Buch »Miniaturen« ein konsequenter weiterer Schritt, und immer ein Stück daneben. Nur eine verletzte Auster produziert eine Perle: Kunst.

Konterkariert werden diese Texte von einigen kleinen Holzschnitten, die in Pariserblau gedruckt sind. Die Motive erinnern an Dinge, die man am Strand findet, die man aber doch nicht zuordnen kann. Entstanden sind die Druckstöcke vor 2005, die Texte 2009. Texte und Holzschnitte sind jeweils zu einem autonomen Buchblock gebunden und finden sich in einem eigenwilligen und haptikbetonten Holzdeckelbuch mit Stift. Dieser Artist verfolgt damit zwei Gedanken: Authentizität des Materials und die Möglichkeit des Fertigmachens. Die Holzdeckel des Bucheinbands stammen von einer Überseeverpackung, die zerschnitten und mit all ihren Mängeln roh verwendet wurde. Die abschließende Kiste wurde aus einem ehemaligen Bücherregal gefertigt und wird so zu einem Individualregal. Der Stift soll den Leser dazu anregen, zum aktiven Nutzer des Buchs zu werden, der ergänzt, bildlich wie schriftlich, und der erst damit das Werk zu einem Ganzen macht.

Hieronymus begreift das Papier als Spannungsfeld polarer Gegensätze, die er souverän überblickt. Seine Meisterschaft beruht auf seinen Kompositionen mit ihrer einzigartigen Verbindung von Form und Struktur. Jedes Buch entwickelt seine eigene Sprache, weist eine andere Technik auf, immer. Hieronymus erreicht mit seiner Arbeitsweise, daß nicht nur der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen wird, sondern die synästhetische Wahrnehmung.

   

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Fund a Mente von Stephanie Neuhaus. Haimo Hieronymus liets aus seinem neuen Künstlerbuch Aquatik.

Rheintor, Linz – Anno Domini 2011, Edition Das Labor 2011. – Limitierte und handsignierte Auflage von 100 Exemplaren. – Dem Exemplar 1 – 50 liegt ein Holzschnitt von Haimo Hieronymus bei.

Rheintor, Photo: Klaus Krumscheid

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