1001 Utopie

„…macht Rhizom, nicht Wurzeln, pflanzt nichts an!
Sät nicht, stecht!
Seid nicht eins oder viele, seid Vielheiten!
Macht nie Punkte, sondern Linien!
Geschwindigkeit verwandelt den Punkt in eine Linie!…“  
 
Gilles Deleuze / Félix Guattari: „Rhizom“,  Merve Verlag Berlin 1976

In Eisenstadt, knapp an der ungarischen Grenze, vormals römische Provinz Pannonien, heute burgenländische Landeshauptstadt auf österreichischem Staatsgebiet, inmitten der Europäischen Union gelegen, stellt seit dem Frühjahr letzten Jahres das Europahaus Burgenland eine Brachfläche von über 20.000 qm zur allgemeinen Bestellung eines so genannten „Kosmopolitischen Garten“ zur Verfügung.

Der Künstler Andreas Roseneder erkundet zur selben Zeit die Einsetzbarkeit von polymeren Kunststoffen in seiner Arbeit und hat so genannte patches aus Polyethylen – Endprodukten der Industrie entwickelt. Da der Kosmopolitische Garten direkt an eine Industrieanlage zur Weiterverarbeitung dieser Kunststoffe anschließt, erscheint für ihn und Artstage augenblicklich das Projektsujet: „Plastik“ – Synonym einerseits umgangssprachlich für die Produkte aus industrieller Kunststoffherstellung wie auch andrerseits in traditionell formalästhetischem Begriffdenken für ein Kunstgebilde. Andrerseits weiter getragen über die Beuys´sche anthropologisch-soziale Idee wie der szenischen Inszenierung der Land Art – und nicht zuletzt über das aktuelle Urban Gardening und Farming auf brachliegenden seit Jahren unbearbeiteten städtischem „Grund und Boden“.

Kunst und Natur in einem Wechselspiel, zu dem nur die spontane Initiation mit der Prämisse „Veränderung“ gegeben sein soll: Wie verhält sich diese „symbiotische Plastik“ über die Jahre, gestaltet durch die Jahreszeiten mit Wetter, Wuchs und Verwitterung?

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1001 LAVENDER COSMOS

als politiker wuerd´ ich sagen, damit sei ein schulterschluss zwischen kunst, kultur & wirtschaft wie industrie gelungen.

als wissenschaftler wuerd´ ich auf die ambivalenten beziehungen zwischen oekonomie & oekologie hinweisen.

als kuenstler betonte ich wohl die aesthetischen synergien von kuenstlerischen wie auch kulturellen, industriellen & landwirtschaftlichen zeichensetzungen des menschen.

als maler sehe ich die vier industriellen stahltuerme im hintergrund als farbtuben, aus welchen die polyethylen-patches wie violette farbpatzen auf die landschaftpalette gequetscht & unterschiedlich mit weiß abgetoent wurden, um die farbe des lavendels zu treffen, der darunter gepflanzt wurde.

als gaertner & landschaftsarchitekt sehe ich mich bemueht, die farbpalette der kunststoffobjekte zu betonen, indem ich die weissen & violetten lavendelpflanzen dem kunstprodukt entgegensetze, soll heissen die violetten pflanzen unter die weissen objekte & die weissen pflanzen unter die violetten so in gleichmaessigem verlauf setze, dass nach zwei jahren die pflanzenreihen in der bluete aus einiger entfernung wie abgetoente pinselstriche des farbsuchenden malers erscheinen moegen.

als bauer erlebe ich ueber meine haende die pannonische erde, begreife, harke, kruemle & waessere sie, weiss bald ueber das terroir bescheid, das sich oft nach ein paar metern schon aendern kann & damit die pflanzen unterschiedlich gedeihen laesst, befreie die zarten lavendelkinder von wuchernder ackerwinde & querspriessender kratzdistel, lerne so jede einzelne pflanze kennen.

als poet sehe ich in dem wundersam wachsenden projekt eine hommage an die impressionistische en plein air malerei des neunzehnten jahrhunderts in der franzoesischen  Provence & erwarte jeden moment das erscheinen der maler Vincent Van Gogh & Paul Gauguin, um auf dem feld in vorauseilender expressionistischer manier einen kuenstlerischen streit vom zaune zu brechen, der ins zwanzigste jahrhundert fuehrt.

als zeitgenosse zu beginn des ein&zwanzigsten jahrhunderts habe ich vor ein paar monaten den initiatoren des Kosmopolitischen Gartens im Europahaus Burgenland ganz einfach hingesagt:

„ich werfe die schatten der vier tuerme dort hinten hin!

Andreas Roseneder im Juni 2011

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links:

 Hans Göttl /  Eine Einladung zur Weltbürgerschaft

Europahaus Burgenland

Artstage Pannonian / 1001 LAVENDER COSMOS – Fotos

René Desor /1001 LAVENDER COSMOS

René Desor / poesis & crisis / 1001 LAVENDER COSMOS – ein Blogscroll

Hildegard Kurt / Seminarleitung Juni 2012:  Von ganz unten

und.Institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit e.V., Berlin

Andreas Roseneder    Lavender Cosmos Duet    Acryl auf Leinwand 2011