Das leise Verstören

 

Was und wie es aus der Kopfhaut herauswächst, bleibt unkontrollierbar und ungestalt. Es ist das Haar, das als Wort ausgesprochen und in all seinen möglichen und aussprechbaren Buchstabenvariationen Aggressionen provoziert: raah!, raha!, arah!, aarh!, rhaa!

Es wächst lautlos, unsichtbar, es bricht lautlos ab, es fällt lautlos aus. Es hinterläßt keine Spuren außer sich selbst; man muß das Abgebrochene und Ausgefallene suchen wollen, bis man des Schreckens gewahr werden darf, der nur in der Fülle des Findens von Abgebrochenem und Ausgefallenem dokumentierbar wird. Bleibt man frei genug, keinem Spezialisten für Abgebrochenes und Ausgefallenes die Relikte solchen Verlustes seinem Mikroskop zur Verfügung zu stellen und klug genug, dessen Wissensdrang durch gewaltsamen Ausriß des ohnehin bald Ausfallenden und Abbrechenden nicht zu fördern, wird man das Haar auf dem Revers, auf dem Kopfkissen, in der Suppe suchen, fahndend nach dem kleinen, winzig kleinen halbstecknadelkopfgroßen weißen und minimal verdickten Pünktchen an einem der Enden, das man im Volksmund Haarwurzel nennt und dessen Entdeckung einem Todesurteil für künftige Aufwertungen gleichkommt. Fällt das Haar tatsächlich täglich und unnachwüchslich mit der Wurzel aus? Jetzt kriechen sie überall herum, suchen ihr Ausgefallenes und fangen an zu zählen, fangen an, Abgebrochenes und weißendig Ausgefallenes zu sortieren. Manche erarbeiten sich damit die Wiederherstellung des alten Kopfputzes, andere weinen, auf den Knien vor dem Mülleimer. Da reißen sie sich das in gereizter Kopfhaut vageverwurzelte Haar büschelweise aus. Andere erscheinen lichtgekämmt auf Paßfotos für die Personalakte, um sich später als Glatzköpfe einer neuen Herausforderung zu stellen.

 

 

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Pro toto Typen, von Angelika Janz, KUNO 2023

Weiterführend  

Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd

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