Das Fräulein von Scuderi

 

E. T. A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi gehört zu einer Sammlung von 19 Erzählungen, Novellen und Märchen, die 1819–1821 in vier Bänden unter dem Titel Die Serapionsbrüder in Berlin erschien. Am Tag des heiligen Serapion, am 14. November 1818, trafen Hoffmann und seine Schriftstellerfreunde nach langjähriger Pause wieder zusammen (Adelbert von Chamisso war von einer dreijährigen Weltreise zurückgekehrt). Dieses Ereignis inspirierte E. T. A. Hoffmann zum Titel und zur Fertigstellung seiner Sammlung. Die Serapionsbrüder tragen sich gegenseitig die Geschichten vor.

Die Ereignisse um Das Fräulein von Scuderi gehen auf historische Vorgänge zurück, über die Voltaire in seinem Siècle de Louis XIV und Johann Christoph Wagenseil in seiner Chronik der Stadt Nürnberg berichten. Als Hintergrund dienen auch die Fälle der Marquise de Brinvilliers und der Catherine Monvoisin in der Giftaffäre, die Hoffmann als Jurist aus dem Pitaval kannte. Die romantisch-realistische Erzählung erschien 1819 zuerst im Taschenbuch für das Jahr 1820. Der Liebe und Freundschaft gewidmet.

E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi spielt im Herbst des Jahres 1680. Das 73-jährige Fräulein Madeleine von Scuderi ist eine angesehene Dichterin am Hof von König Ludwig XIV. Zu dieser Zeit geschehen in Paris viele Morde, deren Opfer durch einen Dolchstich mitten ins Herz getötet werden. Alle folgen dem gleichen Prinzip: Immer sind die Opfer adlige Männer, die mit einem Schmuckgeschenk auf dem Weg zu ihrer Geliebten sind, und immer wird dieses Schmuckstück gestohlen. Man wendet sich nun hilfesuchend an den König. Dieser berät sich mit Fräulein von Scuderi. Sie quittiert die Angelegenheit leichthin mit dem Bonmot « Un amant qui craint les voleurs, n’est point digne d’amour » („Ein Liebhaber, der Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig“), was den amüsierten König veranlasst, die Ermittlungen nicht weiter zu verschärfen, auch weil es in der nahen Vergangenheit in einer anderen Mordserie zu überzogenen Verfolgungen kam, bei denen auch Unschuldige hingerichtet wurden.

Daraufhin bringt eines Nachts ein junger Mann ein Kästchen mit wertvollem Schmuck (Halskette und Armbänder) zu Fräulein von Scuderi. Im Kästchen befindet sich ein kurzer Brief, auf dem sich der unbekannte Mörder bei der Scuderi dafür bedankt, dass sie sich mit ihrem Bonmot gegen die Aufstockung der Polizeikräfte ausgesprochen habe. Das Fräulein ist bestürzt über die ungewollte Wirkung, die ihr verbaler Scherz bei dem Verbrecher ausgelöst hat, und bittet ihre Freundin Marquise de Maintenon, die Maitresse des Königs, um Hilfe. Diese erkennt sofort, dass das kunstvolle Geschmeide in dem Kästchen nur von René Cardillac, dem angesehensten Goldschmied jener Zeit, stammen könne. Dieser wird herbeigerufen, bestätigt die Vermutung, fällt vor der Scuderi auf die Knie und bittet sie, den Schmuck als Zeichen seiner tiefen Verehrung zu behalten: Er habe bei seinen Arbeiten immer nur an sie gedacht. Leidenschaftlich küsst er „der Scuderi den Rock – die Hände – stöhnte – seufzte – schluchzte – sprang auf – rannte, wie unsinnig, Sessel, Tische umstürzend, daß Porzellan, Gläser zusammenklirrten, in toller Hast von dannen“.

Als sie mehrere Monate danach durch Paris fährt, übergibt derselbe verstörte Jüngling, der vorher die Botschaft des Mörders und das Schmuckkästchen überbracht hat, dem Fräulein einen Zettel mit der dringenden Bitte, den Schmuck binnen zwei Tagen zu Cardillac zurückzubringen – andernfalls werde sich der junge Bote in ihrem Hause umbringen. Als sich die alte Dame am zweiten Tag mit dem Schmuck auf den Weg zu Cardillac macht, erfährt sie bei ihrer Ankunft, dass dessen Leichnam gerade weggebracht werde und ein junger Mann, Cardillacs Geselle Olivier Brusson, als dessen Mörder verhaftet worden sei. Sie kümmert sich um die Tochter des Mordopfers, Madelon, die allerdings auch die Geliebte des Mordverdächtigen ist, und will dem jungen Liebespaar helfen. Als sie jedoch den Häftling im Gefängnis besucht, muss sie erschrocken feststellen, dass Olivier niemand anderer ist als der junge Mann, der ihr einst das Schmuckkästchen und später die Zettelbotschaft überbracht hat.

Olivier erhält schließlich das Recht, das Fräulein von Scuderi zu Hause zu besuchen, da er angekündigt hat, nur ihr die Wahrheit zu gestehen. Es stellt sich heraus, dass er der Sohn der ehemaligen Pflegetochter der Scuderi ist. Er erklärt ihr, dass René Cardillac der lang gesuchte Serienmörder sei. Dieser habe sich nie wirklich von seinen kunstvollen Schmuckstücken trennen können (s. u. Cardillac-Syndrom) und sich diese daher nach dem Verkauf mit Hilfe seiner Raubmorde auf blutige Weise zurückgeholt. Olivier habe ihn selbst einmal bei einem seiner Verbrechen beobachtet, der Polizei aber, aus Sorge, Madelons Bild von ihrem Vater zu zerstören und ihr gemeinsames Glück zu gefährden, nichts davon verraten. Bei seinem letzten Mordanschlag sei Cardillac schließlich von einem Adligen in Notwehr getötet worden. Dieser sei, weil er nicht in die Mordserie verwickelt werden wollte, geflohen, und Olivier habe dann Cardillacs Leiche ins Haus gebracht, sei dabei entdeckt worden und deswegen nun des Mordes verdächtig. Die Wahrheit will er aber niemand anderem als der Scuderi verraten, da er lieber sterben will, als Madelons Bild von ihrem Vater zu zerstören.

Nachdem sich der Graf von Miossens, der Adlige, den Cardillac zuletzt überfallen hatte, bei der Scuderi gemeldet und die Aussagen Oliviers durch sein Geständnis gestützt hat, zögern das Gericht, die Chambre ardente, und Richter La Regnie jedoch immer noch, Olivier auf freien Fuß zu setzen. Letztlich wird es nur dank des Einsatzes der Scuderi beim König von dessen Unschuld überzeugt. Madelon und Olivier heiraten, müssen aber Paris auf Wunsch des Königs verlassen – die schöne Madelon erinnert den König zu sehr an seine eigene frühere Geliebte – und ziehen nach Genf, Oliviers ursprünglichem Heimatort.

Cardillac kann den Gedanken, dass er seine Schmuckstücke nicht für sich behalten kann und andere seinen Schmuck anlegen dürfen, nicht ertragen. So tötet er die Käufer kurzerhand, um den Schmuck wieder zu erlangen und ihn dann in einem verborgenen, nur durch eine Geheimtür zugänglichen Gelass nur für sich allein zu genießen. Darin offenbart sich seine gesellschaftliche Schwäche: Indem er bis zum Mord geht, um sein Werk nicht mit der Allgemeinheit teilen zu müssen, zieht er die extreme Konsequenz seiner Eigensucht.

Der Prototyp, ein ART-O-MAT von Haimo Hieronymus, Photo: Dieter Meth

Künstler müssen, um von ihrer Kunst leben zu können, ihre Werke verkaufen, das heißt, sie müssen sich von ihnen trennen. Doch das fällt ihnen mitunter schwer, da ihre Kunst einen wichtigen Teil ihrer Identität darstellt. Schon Goethes Tasso vermag sich nicht von seinem dichterischen Werk zu lösen, da er nur darin sich selbst findet. Modernere Künstler behelfen sich vielfach mit sorgfältig geführten Erwerberlisten, gelegentlich auch mit vertraglichen Rückkaufsrechten. Arnulf Rainer zum Beispiel behielt sich das Recht vor, ein verkauftes Werk jederzeit aufsuchen und ändern zu dürfen. Manche Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang in Anlehnung an E. T. A. Hoffmanns Novelle vom Cardillac-Syndrom.

 

 

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Das Fräulein von Scuderi ist ein im September 1819 erstmals im Taschenbuch für das Jahr 1820. Der Liebe und Freundschaft gewidmet abgedruckter Erzähltext von E. T. A. Hoffmann. Ein unautorisierter Nachdruck erschien noch im selben Herbst 1819 im Wiener Unterhaltungsblatt Der Sammler. 1820 findet sich die Erzählung im dritten Band von Hoffmanns von 1819 bis 1821 in vier Bänden publiziertem Zyklus Die Serapionsbrüder. In den folgenden fünf Jahrzehnten werden allein im deutschsprachigen Raum fast zwanzig weitere Abdrucke veröffentlicht. Das Fräulein von Scuderi gilt als erste deutsche Kriminalnovelle und handelt von der Aufklärung einer rätselhaften Mordserie im Paris des 17. Jahrhunderts durch die an der französischen Schriftstellerin Madeleine de Scudéry (1607–1701) Maß nehmende Titelheldin.

Weiterführend

In 2022 widmet sich KUNO der Kunstform Novelle. Diese Gattung lebt von der Schilderung der Realität im Bruchstück. Dieser Ausschnitt verzichtet bewußt auf die Breite des Epischen, es genügten dem Novellisten ein Modell, eine Miniatur oder eine Vignette. Wir gehen davon aus, daß es sich bei dieser literarischen Kunstform um eine kürzere Erzählung in Prosaform handelt, sie hat eine mittlere Länge, was sich darin zeigt, daß sie in einem Zug zu lesen sei. Und schon kommen wir ins Schwimmen. Als Gattung läßt sie sich nur schwer definieren und oft nur ex negativo von anderen Textsorten abgrenzen. KUNO postuliert, daß viele dieser Nebenarbeiten bedeutende Hauptwerke der deutschsprachigen Literatur sind, wir belegen diese mit dem Rückgriff auf die Klassiker dieses Genres und stellen in diesem Jahr alte und neue Texte vor um die Entwicklung der Gattung aufzuhellen.