Bonn, 11.9. La Fontana

 

Lieber Felix,

Pirandello ist wieder da! Er war verreist. Sizilien. Er hat dort eine Verlobte, davon weiß seine Verlobte in Bonn aber nichts. C’est la vie … honi soit qui mal y pense. Nun ist er also wieder in Bonn, und als ich meinen Espresso bestelle, steht er schon oben auf seinem Balkon und ruft: „Allora, che si dice?“ – „Tutto bene!“, rufe ich zurück. – „Und was macht Ihr Enkel, der famose Felix?“ – „Ich will nicht wirklich klagen, aber er avanciert derzeit zu einem politischen Hasardeur …“ – „…?“ – „Er sympathisiert mit den Linken.“ – „Bravo“, ruft Pirandello, „er ist ein Idealist.“ – „Er ist ein Träumer“, sage ich. – „Signor Damonte, der Traum ist die Mutter der Zukunft.“ – „Nicht unbedingt einer besseren Zukunft“, sage ich. – „Es ist ein dialektischer Prozess“, sagt Pirandello. – „Das sagt Felix auch immer.“ – „Allora, Signore, schließen Sie mit Felix eine Koalition der idealistischen Erfahrung!“ – Wandel durch Annäherung, denke ich – ja, das kann die Lösung sein.

 

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Auf dem Weg zum Kaiserplatz dachte ich: Denkende aller Länder, vereinigt euch! Denn ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Unmündigkeit … Und schon höre ich Pirandellos Stimme: „Signor Damonte, ich stimme Ihnen zu, wir brauchen eine Neue Aufklärung!“ – „Das sagt mein Enkel auch“, rufe ich über den Platz. – „Ah, Felix!“, sagt Pirandello, „der kleine Denker großer Gedanken …“ – „Ja“, sage ich, „er will einen Neuen Kommunismus.“ – „Ja“, sagt Pirandello, „es ist Zeit!“ – „Schön und gut“, sage ich, „es hapert nur noch ein bisschen an der praktischen Umsetzung.“ – „Seien Sie nicht so pessimistisch, Damonte, Sie sehen doch, die jungen Leute tragen unerschütterlich die Fackel des Idealismus weiter.“ – „Meinen Sie?“ – „Ja“, sagt Pirandello, „Felix for future!“

 

 

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Pirandello-Geschichten, von Ulrich Bergmann + Selbstporträts, Damonte, Bonn 2021

Weimar ist nicht Bonn

Weiterführend →

Auch in seinem Projekt Pirandellos nutzt Ulrich Bergmann das Postkartenformat. Mit seinen „Correspondenzkarten“ verschafft er den Lesern das Vergnügen von spezieller Twitteratur. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.