Die Koliken von Narnia

(Nachtschicht mit Diktatoren)

Für kurze Schlüsse ist es schon zu zweit, und es gibt jetzt keinen Nahen Osten mehr, der das hier alles buchstabieren kann. (Den Halbmond – noch schaukelt er mit seinen Nächten unterm tierkundigen Himmel – ließen die Diebe im Fenster zurück.) Die Kinder der Ziegenmenschen brachten Fingeropfer, in Festmetern abgeträumte Beschneidungen, mit Ehrenrunden für Kalifen, Haarvergoldung und Moscheereport, auch nach ruhenden Bällen. Zum Abend folgte irgend­etwas mit Beton und Hass, Wadi-Tour und Kismet: das gab die richtigen Bilder. Alter Mann und Alter Ego konnten da nur die Straßenseite wechseln und einen grimmen Blick zurückwerfen auf Ditib-Katarakte, Ofenbeichten, Palmöl in Grombühl, den überdehnten Schließmuskel-Bosporus am Fuß des Berges Erdogan. Die Archen des Bösen erschreien dort den Ararat (sagt man), und der Gülenmond zeigt seine Rückfront, wenn es dönert in Antalya und der Himmel Wolken rupft vor leeren Sonnenbänken. Die jetzt noch kommen, fallen hin und denken gleich, sie seien wirklich da, nippeln Bahamas aus Zahnfugen und Lipgloss, und nur das provisorische Rauschen des Regens über Lesbos färbt ihre Gesprächspausen heiter. (Es hieße zum Salz greifen von dieser Orchidee in barem Ernst zu sprechen.) Junge Russen trinken Suizid aus Schnabeltassen, der Wolkenlaich zieht weiter, in talmudische Talmulden (wer das weiß), darunter regnet es verhalten Sultanköpfe und Kamelle. Sie lachen, aber lass sie. Es sind nur medinische Heiden, an ihren Stränden herrscht längst Clubmoral, Gleitsicht vor Nachsicht für alle über fünfzig, und die Entartung der Ungeheuer ist für zwei Martinis ausgesetzt. Kein Türke mehr im Türkismeer, die Wellen geschlichtet zu Rüschen und Galenen. Miesmuscheln liegen laubstumm am Erholungsufer, wie Telleraugenringe. Auf Bojen hockend, schleudern Minarette traurige Vokabel-Lassos über österliches Fleckvieh, und Iblis zieht verächtlich seinen Kolben durchs Revier. Steigerungsstufe: Gnom. Bemerkenswert: die Zeiger rücken rückwärts, doch die Zeit rührt sich nicht von der Stelle. Dieser Ruhepuls befremdet, alles andere auch. Schnelle Schalte zu den Tagesthemen, zu Nachrichten von Wüstenateliers und Derwisch-Landungsbrücken, wo Glossen mit dem nächsten Anschlag zielen. Wir können es einrichten, wenn wir wollen. Wenn. Wenn Blut träumt, ist es dann Wasser?

 

 

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Mehrwegballaden. Neue Spektakel und Dioramen von Ralph Pordzik. École Noire, 2020

École Noire, 2020. Cover © Koshiro Onchi.

Weiterführend →

In den Aufzeichnungen von Ralph Pordzik findet sich eine Poesie, die man von den japanischen Haiku kennt, sie scheint auf besondere Weise verfügbar und dienstbar zu sein. Diese Notate entsprechen der Denkgenauigkeit der Spätmoderne, es ist Twitteratur im besten Sinn. – Lesen Sie auch einen Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.

Bereits von seinem ersten Band Verabredung mit meinem Publikum war KUNO angetan. Auf KUNO lesen Sie auch einen Rezensionsessay von Holger Benkel über Ralph Pordzik  – Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.