Keine Karos

 

Jedes Mal, wenn er im Herrengeschäft stand, dort nach den ihm passenden Klamotten suchte, er wusste meist schon vorher, was das Richtige wäre, musste er feststellen, dass dort neben dem obligatorisch etwas tuntigen Verkäufer auch immer eine Verkäuferin herumlief. Die ersten paar Mal hatte ihn das noch etwas verwundert, denn wer hat schon mal davon gehört, dass in einem mittelmäßigen Modeladen für Damen männliche Verkäufer ihren Dienst tun. In den guten Boutiquen ist das natürlich etwas ganz anderes, aber davon soll hier ja gar nicht die Rede sein, denn Herr Nipp könnte es sich niemals erlauben, dort auch nur einen Gürtel zu kaufen, außerdem wäre es ihm um jeden Cent, den er dort ließe, ein Grauen. Schlaflose Nächte würde er verbringen und sich hin und her wälzen, nein, er besuchte lieber jene Mittelstandsläden, in welchen einige ihm bekannte Mittelstandsmarken angeboten wurden. Normalerweise suchte er dann zwei Hosen in der richtigen Größe aus, die dann auch meist passten. Danach folgte dann ein Pullover, schlicht geschnitten, möglichst mit Streifen. Gerne in Beige – Schwarz oder Hellgrau – Blau. Ein Bekannter hatte einmal zu ihm gesagt, er sei der Mann mit den Ringelpullovern. Einige T-Shirts aus der Zweierdose, das war es dann auch schon. Die Sachen in eine Tüte verstaut und ab nach Hause. Übersehen dabei hatte er die ersten paar Mal, dass er meist der einzige Mann in diesem Laden war. Er wurde halb männlich, dafür aber freundlich und vor allem kompetent bedient. („Ein netter Mann, du.“ Leicht näselnd ausgesprochen und die rechte Hand theatralisch nach vorne geklappt.) Die Frau hielt sich im Hintergrund und war dann meist nur nebenbei zu bemerken. Irgendwann fiel es Herrn Nipp jedoch wie Schuppen aus den Haaren: Meistens kauften hier Ehefrauen für ihre Männer ein. Sie kannten die Größen offensichtlich sehr genau, kamen meist laut gestikulierend und miteinander in tiefstes Gespräch eingebunden, suchten die richtigen Hemden aus und Hosen sowieso. Augenscheinlich war es bei diesen Damen sehr modern, karierte Hemden zu besorgen, welche die Männer dann wahrscheinlich daheim nach der Arbeit glücklich anprobierten, nur um festzustellen, dass an dieser oder jener Stelle ein Kilo zu viel war. Diesen Damen stand dann natürlich die eben schon erwähnte Bekleidungsfachverkäuferin zur Seite und aus den Zweifrauengesprächen wurden dann Dreifrauengespräche. Dann wurde geschnattert, bis es sogar Herrn Nipp zu bunt wurde und er das Weite suchen wollte. „Wollen Sie vielleicht auch noch dieses karierte Hemd anprobieren, haben wir erst am Samstag herein bekommen?“ Herr Nipp wandte sich ab: „Nein, karierte Hemden machen mich krank.“

 

 

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Ein Rückblick auf: Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → 

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

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