Alß sie ein Poëtischer Geist tribe.

 

JCh / der ich sonsten pflag von schlechten Dingen schreiben /
bin gänzlich umgekehrt / nun muß mein Lob wohl bleiben /
und grünen wie ein Zweig / iezt wil ich meinen Sinn /
von dem / das niedrig ist / biß in die Wolcken ziehn.
Die Göttin Fama wil mir selber Flügel geben /
die immer für und für am hellen Himmel kleben /
und wo der Venus Sohn hinfüro schiessen wil
nach mir / so raht ich / daß er in die Wolcken Ziel.
Da soll mein Ball=Plaz seyn / da soll das Glüder* fliegen /
wie Spreu / das brennen muß / und allzeit unten ligen.
Die Clio bindet mir schon selbst die Lohrbeer=Kron /
die Ewig grünen wird / nun soll die Kunst den Lohn
erlangen / recht ; So muß ein freyer Sinn bekleiben ;
nuhn / ich wil immer auch bey meinen Worten bleiben /
und steigen mit dem Sinn des Himmels Leiter an /
ein jeder sey bereit / daß er mir folgen kan.

 

 

***

Sibylla Schwarz, Werke Briefe Dokumente. Hrsg. Michael Gratz. Band 1. Leipzig: Reinecke & Schwarz 2021

Sibylla Schwarz,  (24. Februar 1621 Greifswald – 10. August 1638 ebenda) bewies eine für ein Mädchen der damaligen Zeit ungewöhnliche Bildung. So kannte sie Martin Opitz, dessen Buch von der Deutschen Poeterey ihr als Vorbild für Metrik und Form diente. 1638 erkrankte sie plötzlich an der Ruhr und starb im Alter von 17 Jahren am Hochzeitstag ihrer älteren Schwester, der ihr letztes Gedicht gewidmet ist.

Ihre Gedichte wurden 1650 postum von ihrem Lehrer Samuel Gerlach unter dem Titel Deutsche Poëtische Gedichte in zwei je über 100 Gedichte umfassenden Teilen veröffentlicht. Einige Lieder wurden auch in Gesangbücher aufgenommen. Eine Zeit lang war sie als „die pommersche Sappho“ berühmt, geriet aber im 18. Jahrhundert in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Literaturforschung wieder auf Sibylla Schwarz als eine der wenigen Frauen in der Barocklyrik aufmerksam. 1980 erschien ein photomechanischer Nachdruck des 1650 erschienenen Buches, das der Forschung als Quelle dient. Im Januar 2021 erschien der erste Band der kritischen Gesamtausgabe im Verlag Reinecke & Voß.

Ihr langes Gedicht Ein Gesang wider den Neid wurde von Erika Greber als das „wohl erste kompromisslos feministische Gedicht der Weltliteratur“ angesehen

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.