Handtücher

 

Wie jedes Mal, wenn er zum Sport ging, nahm Herr Nipp sich ein weißes oder gelbes Handtuch vom Stapel im Badezimmer. Er hatte irgendwann aufgegeben, die fünfzehn Tücher in den Schrank zu räumen. Wozu auch. Im Bad lagen sie viel günstiger, immer griffbereit. Fertig. Doch jetzt, im Zugreifen, musste er unwillkürlich zucken, was musste er da feststellen, was hatte er in den letzten Wochen so gnadenlos ignoriert? Zwar wurden die besagten Stoffteile aus Frottee seit über zwei Jahren nun nicht mehr gebügelt und seit mindestens sechs Monaten hatten sie auch keinen Trockner mehr gesehen. Ja, sie wurden auf der Leine getrocknet. Zunächst, weil beides nicht mehr vorhanden war, dann eine gewisse Zeit auch aus purer und eingestandener Faulheit. Bügeln ist einfach eine lausige Beschäftigung und sinnlose Vergeudung von Zeitbeständen, wenn man keinen Fernseher nutzt. In einem solchen Fall des visuellen Konservenkonsums ist es ja vielleicht noch ganz nett, vor diesem Gerät den Abend bügelnd zu verbringen. Wir wissen ja, dass ein doppeltes Minus automatisch ein Plus wird.

Er konnte sich auch daran erinnern, dass ihm eine gute Freundin einmal gestanden hatte, die Platte „Nevermind“ von „Nirvana“ sei für diese Tätigkeit das Beste, was die Menschheit je geschaffen hatte. Wobei Herr Nipp nicht ganz glauben konnte, dass Curt Cobain und seine Mannen beim Texten an eintönige Hausarbeiten gedacht hatten. Aber wer konnte das schon so genau wissen, schließlich bestand das Lied „Smells like teen spirit“ auch aus einer fast sinnlosen Akkumulation von Wörtern. Man musste schon ziemlich weggetreten sein, wenn man die inneren Strukturen oder Bezüge entdecken wollte. Und das kam dem Zustand des Bügelns doch recht nahe.

Nach einer gewissen Zeit hatte er neben der Sinnlosigkeit des Bügelns, der puren Zeitverschwendung auch noch erkannt, dass diese Kulturtechnik durchaus zu großen Teilen dafür verantwortlich sein musste, dass gewiefte Sucher mit ausgebildetem Hund oder Schwein demnächst auch im Sauerland würden Trüffel ernten können. Eigentlich ja keine schlechte Sache, wenn man weiß, wie gerne Herr Nipp diese unterirdisch wachsenden Pilze doch verspeist, am liebsten ganz dünn gehobelt auf einem Omelette. Der Pferdefuß an dieser Geschichte ist nun wiederum, dass das vermehrte Wachstum dieser Delikatessen einfach mit der Klimaerwärmung zusammenhängt und das stört einfach, denn damit ging auch Kontinentalklima im Winter einher und damit bitterkalte Temperaturen (Wer das jetzt nicht versteht, sollte sich folgenden Erklärungsversuch kurz durchlesen, von dem der Schreiber nun allerdings wirklich nicht weiß, ob er sich den selbst zurecht gereimt hat oder ob er reine Erfindung ist. Er ist, und das kann man wirklich nicht von der Hand weisen, immerhin recht plausibel: Der Golfstrom leitet seine Wärme wie eine riesige Zentralheizung nach England oder Irland herüber. – Da wird wohl niemand widersprechen – Von dort aus weht dann also die erwärmte Luft auch im Winter herüber und stemmt sich gegen die Luftmassen aus dem früher einmal so bösen Osten, den wir inzwischen wahnsinnig nicht nur deshalb lieben, weil unsere liebsten Landsleute von dort kommen oder dort geblieben sind, sondern auch, weil uns die Russen so ganz selbstlos mit Erdgas versorgen. Das Kontinentalklima aus Eurasien kann also nicht völlig zur Geltung kommen. Dieser Golfstrom funktioniert allerdings wirklich nur, wenn im Winter das Nordmeer auch kräftig zufriert, weil das gefrorene Wasser salzfrei ist und im Frühjahr nach unten sinkt und damit die Bewegung des Stroms an der Oberfläche aufrechterhält. So entsteht also ein Kreislauf. Das kalte Wasser fließt gen Süden nach Mexiko oder so und das erwärmte Wasser dann wieder an der Oberfläche zurück. Wenn jetzt aber das Klima in Europa um zwei Grad wärmer wird, dann kann das Nordpolarmeer nicht mehr zufrieren. Also kommt der Strom auch zum Erliegen, ist doch klar. Also kann auch die Luft bei den diversen inselaffenartigen Humanoiden nicht mehr erwärmt werden. Also drückt die östliche Kälte gnadenlos zu uns herein und die Temperaturen sinken weit unter 20 Grad. Und damit können die Russen noch mehr Gas verkaufen. (Vielleicht sollte mal untersucht werden, ob die Bügeleisen nicht von einem Russen erfunden wurden.) So jetzt ist die Kurve doch noch gelungen.) Herr Nipp hatte ja nichts gegen ein bisschen Kälte, aber ständig in der Angst zu leben, dass die Pole abschmelzen, die unteren deichgeschützten Länder überschwemmt werden und sich plötzlich ganze Karawanen von Wohnmobilen und Wohnwagen mit lustig sprechenden Tütenrauchern im Sauerland niederlassen, das machte ihm schon ein wenig Angst, nein es erfüllte ihn mit der Sorge, dass einer von ihnen einmal die Kippe in den Wald werfen würde und dann niemand würde Trüffel ernten können, weil dieser dann abgebrannt wäre. Und bekanntlich brauchen diese warzenrunden Pilze neben Wärme und Kalkböden auch Bäume um zu überleben (Herr Nipp hatte einfach die unglaubliche Fähigkeit, die Dinge im Gesamtzusammenhang zu sehen.)

Das allerdings sollte nicht von Herrn Nipps Entdeckung nicht ablenken, die Tücher waren verschieden dick und fühlten sich auch verschieden an. Zwar hatte er immer wieder mal einzelne Wäschestücke hinzu gekauft, doch nun merkte er, dass die älteren tatsächlich an Masse verloren hatten. Als er diesen Umstand reflektiert hatte (das dauerte immerhin gegen fünf Sekunden), musste er sich unwillkürlich fragen, wie nun zu verfahren sei. Sollte er sich bei den Handtuchfirmen für den allmählichen Schwund beschweren, dies hätte wahrscheinlich wohl wenig Erfolg zeitigen können. Sollte er die dünnen Tücher, die er ja wirklich schon jahrelang in Gebrauch hatte, vielleicht würdevoll bestatten, dabei wäre eine Seebestattung wohl noch die angemessene Variante. Allerdings wäre dies für die Badegäste an den Stränden doch eher ein unschönes Bild, wüssten sie doch beim Anblick der weißen Teile nicht, ob nicht doch vielleicht noch ein ertrunkener Schwimmer sich darein verkrampft hatte. Folglich entschied sich Herr Nipp dafür, sich mit den Varianten inhaltlich auseinander zu setzen, die ihm zuletzt in den Sinn kamen. Sollte er die Handtücher zu den Altkleidern geben oder vielleicht als Putztücher in der Werkstatt gebrauchen? Nach reiflichem Abwägen der verschiedenen Aspekte musste er sich für letzteres entscheiden, denn Tücher sind nur in ganz seltenen Fällen Kleider, nur wenn im Nassbereich der Saunaabteilung lustgewandelt (Oder sagt der hochdeutsche Sprecher besser „gelustwandelt“? Wer kann schon entscheiden, ob das „ge“ nun als Präfix oder als Infix gebräuchlich ist…) wird und Damen wie Herren sich ihre langen und natürlich breiten Stoffstücke als Wickelrock um die Hüften geschwungen haben. Folglich hatten sie im Container auch nichts zu suchen. Außerdem weiß ja auch niemand, was damit angestellt wird. Kann ja sein, dass irgendwer auf die tolle bis wahnsinnige Idee kommt, alle Klamotten nach Afrika zu verschiffen und dort als aktuellen Parischer Schick zu vermarkten. Dass die dortigen einheimischen Völker die Finte erkennen und aus Wut darüber einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen würden.

Nein, die Tücher sollten ein ehrliches Ende finden. In der Werkstatt würde er sich die öligen Hände daran abreiben. Und im nächsten Jahr würden sie beim Osterfeuer verbrannt.

 

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Weiterführend → 

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421