das alte paris

 

und wenn der asphalt weich wäre und weiß
oder wenigstens hellblau
würde ich ein himmelbett aus ihm bauen
auf ein auto bettete ich mein haupt
und in einem der prächtigen boulevards
suchte ich mir einen mann
den zweitbesten der vorüber käme
alle bewohner der stadt wären eingeladen zu unserer hochzeit
die grillen zirpten
und ein opernchor sänge arbeiterlieder
am seineufer lägen die liebespaare
wir badeten nackt
und eine gesandtschaft aus der seniorenwohnanlage
summte alte schlager
im ersten saal der städtischen kunstgalerie
stellen sie steinkohlenteer aus
im zweiten abgeschlagenen asphalt
und im dritten saal läuft ein videofilm
über straßenbau um die jahrhundertwende
auf der place vendôme steht ein riesiges himmelbett

 

 

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WORTSCHAU Literaturmagazin, Ausgabe Nr. 35, April 2020

Paris ist nicht nur eine Reise wert, sondern eine ganze Ausgabe der Wortschau, die KUNO kürzlich vorstellte. Sie lesen über die ville lumière erhellendes von Monika Vasik, Annette Hagemann, Marion Hinz, Angelika Seite, Frank Norden, Dimitrij Gawrisch, Harald Kappel, Gundaga Rêpse, James Hopkins, David Oates, Kathrin Schadt, A.J. Weigoni, René Ullrich-Gérard, Michèle Pauty, Werner Weimar-Mazur, Crauss, Jensen, Peter Ettl, Jo Bernard. Durch diese unterschiedlichen Beiträge leuchtet Paris in einem ganz eigenen Ton. Hier wurde das Licht der Aufklärung und des sozialen Fortschritts entzündet, eine der ersten Universitäten Europas gegründet, fanden politische, soziale, künstlerische Revolutionen statt, die heute die EU bestimmen. Als Stadt der Lichtmalerei reicht die fotografische Tradition zu den Ursprüngen dieser Kunst, in den Straßen sind die ersten Fotodokumentationen von Eugène Atget entstanden. Diese Tradition wird fortgesetzt von der bildenden Künstlerin Kathrin Niemala und dem Grafiker Thorsten Keller, die dieser Ausgabe eine eigene Note verleihen.

Weiterführend →

Eine Würdigung des Bandes hautsterben von Werner Weimar-Mazur durch Ulrich Bergmann finden Sie hier. Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Auf KUNO lesen Sie u.a. einen Rezensionsessay von Holger Benkel über Werner Weimar-Mazur. Wir begreifen den Essay auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.