europa von oben und unten betrachtet

ihrem zweiten band von »Wirklich reisen« stellte die autorin ein zitat von theodor fontane voran, dem wanderer durch die mark brandenburg, der aus einer hugenottenfamilie stammte: »Personen, die nicht da waren, wissen immer alles am besten.« das ist ja logisch. wer etwas nicht erreichen kann, beschäftigt sich vielfach umso intensiver damit. es gibt auch kosmopoliten, die ihr dorf kaum verlassen. schließlich sind menschen kompensationswesen. das fehlende schätzt man oft umso mehr. wenns das leben nicht gäbe, wär das leben gut. der mensch hingegen, der etwas hat, meint häufig, er müsse es nicht weiter ergründen und verstehen, denn er besitzt und sieht es ja. der schottische philologe, sozialanthropologe und religionsethnologe james george frazer, der tausende seiten über verschiedenste weltkulturen schrieb und veröffentlichte, deren motive er miteinander verglich und verband und dessen detailkenntnis bis heute fasziniert, obwohl manche seiner theorien später korrigiert wurden, antwortete einmal auf die frage, ob er jemals selber ins gelände gegangen sei: »Gott behüte!« es haben also durchaus verschiedene weisen, andere kulturen zu erkunden, ihre berechtigung.

auch in ihrem zweiten reisebuch beschreibt sabine raczkowski in einem skizzenhaften tagebuchstil ein selbstbestimmtes reisen mit entdeckergeist. man merkt darin die gewonnene schreiberfahrung. der unterschied zu den reisen des ersten bandes besteht darin, daß die aufenthalte diesmal jeweils eine woche dauerten und dadurch mehr zeit blieb für die erkundung der orte und landschaften und vielfältigere reiseeindrücke, die es erlaubten, die kulturgeschichte intensiver wahrzunehmen. zugleich wird das wahrgenommene hier mehr reflektiert. literarische texte sollten wirklichkeit gestalten, vertiefen, sublimieren, nuancieren, poetisieren, verfremden, kritisieren, und so wesentlich machen. wenn sie ihr erleben der natur beschreibt, gelingt ihr das am besten. sie weist jedoch auch darauf hin, welcher alltagshektik sie zuvor in den urlaub entflieht.

viele passagen lassen einen großen respekt vor der natur erkennen. über die schottischen highlands schreibt sie: »Die Natur braucht die Menschen nicht, das ist hier, wie in einem tropischen Urwald, deutlich zu spüren. Die saftige Vegetation überwuchert die Straßen, die Felsen, die Mauern; saugt den Regen auf, dem Morgentau ist sie ein Schwamm und winzige blaue, lila und weiße Blüten wie für Puppenstubenvasen blühen zum Dank in der kleinsten Ritze, an den abwegigsten Orten.« vielleicht sinds ja blumen für zwerge, die gern im steinigen gelände wohnen, wo sie sich gut verbergen können.

die reiseausrüstung für einen ausflug in norwegen 2013 schildert sie so: »Ich habe einen Rucksack mit Wasser, Regensachen, Pullovern, einer kleinen Thermoskanne mit Proviant auf dem Rücken, natürlich auch mit Verbandszeug und den üblichen Sturmstreichhölzern. Rainer trägt einen großen Fotorucksack. Beide wiegen bestimmt zehn Kilo. Es geht nur bergauf, die Felshürden sind steil, doch zu bezwingen.« über die berge in norwegen heißt es: »Wie winzig ist der kletternde Mensch, der keuchend den Rand des schmelzenden Eises als Ziel der Eroberung vor Augen hat.« im weltraum existieren noch ganz andere gebirge.

heinrich heine schrieb über eine wanderung an der nordsee: »wunderbar wird mir zumute, wenn ich allein in der Dämmerung am Strande wandle ‒ hinter mir flache Dünen, vor mir das wogende, unermessliche Meer, über mir der Himmel wie eine riesige Kristallkuppel ‒ ich erscheine mir dann selbst sehr ameisenklein, und dennoch dehnt sich meine Seele so weltenweit. Die hohe Einfachheit der Natur, wie sie mich umgibt, zähmt und erhebt mich zu gleicher Zeit.« in einer sage aus dem wallis ruft die totenseele eines mannes, der über hundert jahre alt wurde und sein leben lang die gleiche berghütte bewohnte, während sie auf dem weg ins jenseits an der früheren behausung vorbeifliegt: »Da war ich auch einmal über Nacht!« die ewigkeit relativiert die anwesenheit eines menschen auf der erde schon sehr. wenn sabine raczkowski schreibt: »Die Felsen tragen jede halbe Stunde eine andere Wolkenfrisur, von senkrechter Rokokoperücke bis Beatles-Schnitt, ab und zu sind sie so eingebildet, sich einen Heiligenschein umzulegen.«, so erinnert mich das an das wort »Flaumwolkengletscher« bei albert ehrenstein, der freilich auch einen »Himmelhöllentausendschlitz« kannte.

in norwegen und bei einem abstecher nach schweden begegnete sie elchen, die erstmals im pleistozän auftauchten, über zwei meter groß werden und ihr schaufelartiges geweih erst im alter bekommen, was auf eine naturgeschichtlich noch junge und unabgeschlossene entwicklung hindeutet. der elch ist also ein spätes wesen, wie der mensch. der europäische elch war, wie archäologische funde belegen, einst bis nach norditalien verbreitet. antike autoren erwähnten ihn. friedrich rückert berichtete im 19. jahrhundert, daß elche auch in deutschen wäldern lebten, wohin sie allmählich wieder zurückkehren könnten. in rußland wurde der elch noch nach 1900 unweit vom schwarzen meer gesehen. die russische und die schwedische regierung verboten die nutzung der elche als transporttier zeitweilig, weil die polizei kriminelle, die elche besaßen, nicht mehr verfolgen konnte.

in norwegen sehen die reisenden zudem rentiere in freier natur. die samen, die man früher lappen nannte, zähmten rentiere, die auch gemolken werden, schon vor tausend jahren und opferten einzelne tiere ihren göttern. heute halten sie über 200000 rentiere in herden. in lappland war das ren, das zwei meter lang wird, lange das wichtigste transportmittel, als das man es immer noch nutzt. einige samen besaßen mehrere tausend tiere. ein rentierzug konnte 300 tiere umfassen. mit dem schlitten und einer last von hundert kilogramm kann das ren zehn kilometer pro stunde zurücklegen. seine witterung reicht 600 meter weit. die fellhaare sind im winter sechs zentimeter lang, was sie für fellmäntel geeignet macht. inzwischen werden die meisten der zahmen rentiere geschlachtet, verkauft und gegessen.

gleichfalls in norwegen wird die einst größte kobaltmine der welt besucht. kobolden, berggeistern, die mitunter eine tarnkappe wie zwerge trugen, wahrsagen konnten und teils narrenhafte verhaltensweisen annahmen, wurde nachgesagt, daß sie silber raubten und dafür kobalt unterschoben, das lange als wertlos galt. »Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin mutig. Mut, der Gespenster verscheucht, schafft sich selber Kobolde – der Mut will lachen.«, erklärte friedrich nietzsche. und dieser mut ist dann beim durchqueren der kobaltmine durch enge gänge und auf schmalen leitern auch nötig.

in norwegen ahnt sie abermals trolle: »Ich habe einen Troll geweckt. An einer Biegung klackert es laut im Unterholz und auf dem Rückweg an eben der gleichen Stelle quiekt es und flattert, dass ich schleunigst das Weite suche.« trolle sind naturdämonen. das erahnen von geistern ist gesteigerte naturwahrnehmungen. wer die natur wach erlebt, kann geister hören, die man meist nicht sieht, während sie die menschen beobachten. geister treten auch in mengen auf, wo sie dann tatsächlich im schwarm flattern können. heinrich heine schrieb: »Wie haben mich lieblich die Elfen umflattert! / Ein luftiges Völkchen! das plaudert und schnattert! / Ein bisschen stechend ist der Blick, / Verheißend ein süßes, doch tödliches Glück.«

die nordische überlieferung unterscheidet lichtelfen und schwarzelfen. letztere sind erdelfen. die norweger stellten sich elfen klein und nackt vor. norwegische erdelfen können vom sonnenlicht in stein verwandelt werden, während lichtelfen sich sonnen und aber sofort verschwinden müssen, sobald sich die sonne zur nachtruhe legt. schwedisch heißt der nebel »Elfenrauch«. elfen verbergen sich gern. vielleicht rauchen sie jedoch auch rauschmittel, die etwa hanfsamen enthalten. die schottische elfen, die in höhlen und abgründen leben und, wie alle elfen, tanz und musik lieben, nennt man gute leute.

elias canetti verwies in »Masse und Macht« darauf, daß das wort slogan auf die schlachtrufe schottischer totengeister zurückgeht: »Bei den Kelten des schottischen Hochlandes wird das Heer der Toten mit einem besonderen Worte bezeichnet: sluagh. Dieses Wort wird englisch mit >spirit-multitude< oder >Geister-Vielzahl< wiedergegeben. Das Geisterheer fliegt in großen Wolken ‒ wie die Stare über das Antlitz der Erde ‒ auf und ab.« und »Sie schlagen Schlachten in der Luft wie die Menschen auf der Erde. In klaren, frostigen Nächten kann man sie hören und sehen, wie ihre Heere gegeneinander vorrücken und sich zurückziehen, sich zurückziehen und wieder vorrücken. Nach einer Schlacht färbt ihr Blut Felsen und Steine rot. Das Wort >gairm< bedeutet >Schrei, Ruf<, und >sluagh-ghairm< war der Schlachtruf der Toten. Daraus ist später das Wort >slogan< geworden: Die Bezeichnung für die Kampfrufe unserer modernen Massen stammt von den Totenheeren des Hochlands.«

besonders innig sind naturbeschreibungen an schottischen stränden: »Mineralien! Das ist jede Menge Orangencalcit, rund geschmirgelter Granit ‒ und hier! Ein aufgeschlagener Stein, außen ganz unscheinbar und innen dunkelrot! Da! Ein Brocken, der Haifischzähne hat aus kristallinem Quarz. Pyrit glitzert außen herum. Glimmer. Meiner? Meiner! Die großen grauen Steine, die wohl antransportiert wurden, um die Brandung zu bremsen, sind inzwischen abgeschliffen, sauber gewaschen und tragen jeder ein anderes graues Muster: geriffelt, ordentlich gestreift, gefiedert. Ein Seehund kommt uns entgegengeschwommen. Was für ein Wunder, ihm in das freundliche Gesicht zu blicken: Bitte lächeln! Danke!« und »Die Seehunde bildeten Familien, die sich farblich voneinander unterscheiden. Sie sind gefleckt oder fast schwarz oder tragen einen erdigen Ton im Fell ‒ und sie ließen sich untereinander auf keine Gespräche ein. Die Sippen blieben unter sich. Ab und an rutschte einer ins Wasser und schwamm umher oder tauchte minutenlang. Die kleinen Köpfe kamen irgendwann wieder zum Vorschein, die braunen Augen blickten immer freundlich, wenn die Tiere auf sie zu schwammen, als sei sie ihr Ziel.«

die selkies, weibliche oder männliche seegeister nordschottlands, die elfenhaft wirken und oft in höhlen unter wasser leben, haben die gestalt von robben, können sich aber zu verführerisch schönen menschen verwandeln, die sie als totengeister einmal waren, wenn sie ihr fell ablegen, ähnlich wie schwanjungfrauen ihr schwanenhemd. märchen und sagen berichten, daß selkies, denen ihr abgelegtes fell entwendet wurde, notgedrungen menschen heirateten und mit ihnen kinder hatten, doch die erste sich bietende gelegenheit nutzten, um wieder in ihre unterwasserwelt zurückzukehren. der wassermann, der notfalls robbenjäger in seehunde verwandelt, ist schottisch ein männlicher selkie. der nordische trickster loki konnte ebenfalls die gestalt eines seehundes annehmen, was an schamanische techniken erinnert. auch norwegische magier verfügten über diese fähigkeit.

ebenso in schottland sieht sie kelpies, pferdegestaltige wassergeister, meist in gestalt junger pferde, manchmal mit fischschwanz. sagen von kelpies, die an seen und fließenden gewässern leben, wanderern, die flüsse überqueren wollen, versprechen, sie hinüberzutragen, oder sie extra anlocken, um sie dann ins tiefe wasser hinabzuziehen oder gar zu verspeisen, gehen möglicherweise auf frühere menschenopfer an flüssen zurück. außerdem kennt man an schottischen meeresküsten und in seen im binnenland each uisge, das dämonische wasserpferd, ein pferd mit menschenkopf, das gleichfalls menschen anlockt, ertränkt und frißt. das pferd war keltisch häufig begleiter der totenseelen auf der reise ins jenseits. pferdeköpfe an schottischen häusern dienten dem abwehrzauber. bodenfunde belegen, daß keltische völker früh eine entwickelte pferdezucht hatten. die keltische pferdegöttin epona wurde vor 2000 jahren in großen teilen europas verehrt. auf keltischen münzen wurden pferde vielfach und variantenreich  dargestellt.

man übertreibt nicht, wenn man sagt, daß sabine raczkowski geistern auf der spur war. bei reisen in die schottischen highlands, die man lange für unterentwickelte gegenden hielt, bis walter scott sie rehabilitiert und aufgewertet hat, sind solche begegnungen nahezu unvermeidlich. nicht zufällig liegt der römische hadrianwall, errichtet von 122 bis 128, südlich davon. in abgelegenen regionen fühlen sich geister besonders wohl. und die bewohner nordschottlands galten bereits in der antike als eigenwillig und widerstandsfähig. die schotten insgesamt, ursprünglich scoten, die sich im 5. jahrhundert in schottland ansiedelten, sind aus irland ausgewandert, nachdem schon knapp 1000 jahre zuvor kelten aus irland eingewandert waren. vor allem in ihren vorstellungen von der anderswelt, dem keltischen jenseits, das in die irdische welt hineinwirkt, zeigt sich der unverkennbar irische einfluß. schottland als staat entstand gegen ende des 8. jahrhunderts im kampf gegen die wikinger, ähnlich wie das antike griechenland durch die perserkriege. später waren die engländer die größten gegner der schotten. england verbot zeitweilig sogar den schottischen dudelsack. schottische elfen entführten auch engländer. und pfeile der elfen können töten, ohne wunden zu hinterlassen.

beim samain-fest, dem beginn des keltischen jahres am 1. november, der heute durch halloween überdeckt ist, an einem tag, wo die ordnung ausgesetzt wurde, die ansonsten herrschte, konnten sich lebende und tote, menschen und götter, wesen der oberen und unteren, wirklichen und überwirklichen welt vereinen und vermischen, um die ganzheit ihres ursprungs zu erneuern. an solchen tagen, wobei man bei samain schon den abend des 31. oktober und insbesondere die nachfolgende nacht einbezog, versuchten auch menschen, die in die anderswelt entführt worden waren, ins irdische leben zurückzukehren, wo sie aber meist schnell alterten und bald starben, etwa indem sie zu staub zerfielen. der surrealistische dichter philippe soupault schrieb: »Geister sind Vertriebene, die lange von ihrer Wiederkehr geträumt haben.« man kann die kelten, neben den assyrern, die besonders viele und variantenreiche mischwesen schufen, die surrealisten des altertums nennen. ohne geister gibt es keine magie und ohne magie keine künstlerische literatur und kunst.

die autorin berichtet, daß sie in schottland einen walnußkuchen aß, der »Brownie« heißt. in der schottischen volksüberlieferung ist der brownie, der den deutschen kobolden und heinzelmännchen ähnelt, ein meist unsichtbarer arbeitsamer und bescheidener etwa drei fuß großer hausgeist mit runzliger brauner haut, zerfurchtem gesicht, struppigen braunen haaren und zerschlissenen oder zerfetzten kleidern, der süßigkeiten und milch mag, gut behandelt jahrhundertelang bei einer einzigen familie bleibt, ansonsten jedoch auch in zerfallenen burgen oder baumstümpfen lebt. im einst keltischen cornwall, wo man kornisch sprach, hütete er die bienen.

die schottischen trolle, die durch die wikinger nach schottland kamen, sind kleiner als die skandinavischen, das heißt elfenhafter, da die schotten diese nordischen figuren zwar übernahmen, aber ihrer keltischen geisterwelt anpaßten. die orkney-inseln und die shetland-inseln haben aufgrund ihrer wikingischen einflüsse nochmal eine eigene volksmythologie. so wird dort zu weihnachten das nordische julfest begangen, das man auch in teilen des schottischen hochlands feiert.

wenn sabine raczkowski berichtet, daß sie in schottland einen kuckuck hörte, den ich hier in städten lange nicht mehr gehört habe, so erinnert mich das daran, daß der sauerklee oder sauerampfer, zu dem der glücksklee als topfpflanze gehört, schottisch kuckuckskäse heißt, deutsch kuckucksklee, kuckuckssalat, kuckuckskohl, kuckucklauch, kuckucksampfer oder kuckucksbrot. schottisch war es günstig, den ersten kuckucksruf im frühjahr stehend zu hören, so blieb man rüstig. die schotten steckten sich früher ein stück brot unters kopfkissen, um es sofort nach dem aufwachen zu essen, damit sie den kuckuck nicht nüchtern hören mußten, was unglück bringen konnte. dies entspricht nordeuropäischen aberglaubensbräuchen.

im schottischen port appin sieht sie hänge von rhododendron, dem rosenbaum, bewachsen, einem heidekrautgewächs, das dort im milden klima seit dem 18. jahrhundert wild wächst. das wort rhododendron ist mit deutsch rose verwandt, das übers lateinische rosa = rosenstock, rose, rosenkranz, rosenrot aufs griechische rhódon = rose zurückgeht. heute gibt es in schottland ganze rhododendronwälder, die allerdings einheimische pflanzen, und damit auch tiere, die diese pflanzen fressen, verdrängen. eine schöne pflanze wird so zur plage. man darf eben nie bloß dem schein trauen.

eine reise nach andalusien führt in die zeit der mauren, die aus marokko kamen, aber auch des klimawandels. südspanien hat gewaltige probleme, weil die böden austrocknen und erodieren, waldbrände zunehmen, flüsse und bäche versiegen, wasserknappheit droht und zunehmend mehr bauern ihr land verlassen und jahrhundertealte bewässerungssysteme ungenutzt zurücklassen, weshalb teile andalusiens im laufe des jahrhunderts versteppen und verwüsten könnten.

ebenfalls in schottland bemerkt sie staunend frei lebende fasane, die dort bis heute gejagt werden. »Schon auf dem Weg hierher sahen wir Fasane, immer wieder und nun auch auf der Wiese hinter unserem Haus, das gibts doch nicht. Wie gewöhnliche Hühner laufen sie hier herum, wie Tauben, Enten.« wie kam der fasan nach schottland? möglicherweise durch die römer, vielleicht aber auch erst im mittelalter. es kann durchaus sein, daß fasane schon im altertum den weg von einem ende der antiken welt am kaukasus, woher sie ursprünglich stammen, bis zum anderen ende, am hadrianwall, zurückgelegt haben.

der sage nach brachten die argonauten den fasan von ihrer reise aus kolchis, dem land der medea, vom fluß phasis mit, nach dem er benannt wurde. in seinem griechischen namensursprung, phāsiānós, ist der fasan der vogel vom oder am fluß phasis, heute fachs, rion oder rioni, der, bereits von herodot und apollonios von rhodos beschrieben, in armenien entspringt und dann, vom südhang des kaukasus kommend, durch georgien fließt und ins schwarze meer mündet. für die griechen der antike bezeichnete dieser fluß, wie später für die römer der hadrianwall, eine grenze ihres herrschaftsundkulturraumes. »Nach Phasis, wo der Schiffe fernste Fahrt sich schließt.«, das sich bei euripides findet, wurde zum griechischen sprichwort.

die römer, die auch pfauenfleisch aßen, hielten große mengen von fasanen in gehegen und mästeten sie mit gerste, weizen, nudeln, mehl, heuschrecken und ameiseneiern, um sie dann zu essen. vor etwa 2000 jahren brachten sie den fasan nach mittelundwesteuropa, wo er jedoch zunächst eher als ziervogel von vornehmen familien gehalten wurde. althochdeutsch fesihuon, phasis-huhn, im 6. jahrhundert belegt, wurde lateinisch phāsiānus nachgebildet. für england nachgewiesen sind fasane erst 1059. schließlich wurde fesihuon mittelhochdeutsch im 12. jahrhundert verdrängt durch fasān, fasant, die aus altfranzösisch faisan, faisant entstanden. die stammform unseres haushuhns ist das südostasiatische bankivahuhn, eine fasanenart, aus der weltweit zahlreiche hühnerarten gezüchtet wurden. außerdem gehören der pfau, der indische vogel der antike, sowie auerhuhn, rebhuhn, birkhuhn, haselhuhn, steinhuhn, schneehuhn und die wachtel zu den fasanenartigen.

begegnungen mit touristen bei den reisen waren nicht immer angenehm. über einen hotelaufenthalt in norwegen schreibt sabine raczkowski: »Toilette auf dem Gang und Elchköpfe im knarzenden Treppenhaus. Es war eine laute, helle Nacht. Unten wurde gefeiert und später auch geprügelt. Aber es war hyggelig, wie es hier heißt.« norwegisch hyggelig bedeutet gemütlich, angenehm, nett, hübsch und sympathisch. da fehlen nur noch schick, lecker und niedlich. für manche gehört auch eine schlägerei zum wohlbefinden. gewalt und sentimentalität liegen häufig dicht beieinander. in einer schottischen raststätte beklagt sie »die Bierbüchsen und Plastiktüten der Vandalen, die hier gehaust hatten.« das umgangssprachliche wort »Vandalen« findet sich sogar in artikeln von lokalzeitungen sowie verlautbarungen von polizei, stadtverwaltungen oder sparkassen, etwa bei sachbeschädigungen, so eingeschlagenen schaufensterscheiben. die historischen vandalen zogen bei ihrer völkerwanderung quer durch europa und vor knapp 1600 jahren bis nach tunesien, das sie zeitweilig eroberten.

am »Loch Ness« kritisiert sie die vermarktung der legende vom ungeheuer: »Durch Inverness, am Loch Ness entlang, an dem Touristenmagneten Nessie-Museum vorbei. Was für eine wirkungsvolle Idee! Es ist: Nichts! Nichts! Nur ein Gerücht! Kein Vieh, kein Ungeheuer, nicht mal der See ist atemberaubend, für uns jedenfalls nicht, aber die Leute kommen her! Sie kaufen Nippes, gehen ins Museum, beobachten die Wasseroberfläche mit dem Fernglas, essen und trinken, halten sich hier auf. Wegen NICHTS!«

einige besucher fotografieren den see womöglich in der hoffnung, daß sie hinterher beim betrachten der bilder das ungeheuer entdecken. noch um 1900 glaubten manche, man könne gespenster ablichten und damit deren existenz nachweisen. fast zeitgleich hielt man es für möglich, auf der retina eines opfers von jack the ripper ein bild des mörders vorzufinden, das als fahndungsfoto brauchbar wäre. unbewußt verbreitet ist auch die annahme, man könne etwas bannen, also gefahren und ängste abwehren, indem man es fotografiert. franz kafka wird mit dem satz zitiert: »Man photographiert Dinge, um sie aus dem Sinn zu verscheuchen.« jean baudrillard erklärte: »Die Fotografie ist unser Exorzismus. Die primitive Gesellschaft hatte ihre Masken, die bürgerliche ihre Spiegel. Wir haben unsere Bilder.«

ein besonderes kapitel, das man auch als erzählung auskoppeln könnte, ist das der beschreibung einer fiebererkrankung in schottland, worin die autorin sich selbst zur figur macht, in der dritten person von sich spricht und ihre krankheit, die zwei wochen lang andauerte, mit einer furie, also der rasenden, vergleicht. in situationen existentieller belastungen und bedrohungen, die hier bis zur todesangst reichten, hilft es, wenn man sich von außen betrachten kann, weil dies das erlebte leichter objektiv einordnen läßt. »Die Schmerzen waren sogar auf der Kopfhaut wahrzunehmen.«, »Beim Schließen der Augen war immer etwas zu sehen ‒ eine Fläche, ein gelbgrünes Aquarell, mit einem Insekt, einem Gesicht in einer Wölbung, das sich ständig bewegte, verformte. Manchmal auch ein Licht im Schwarzen, das immer näher kam und sie erkennen ließ, welche mundaufreißende Schreckgestalt, die sich nur manchmal in ein liebes Schaf verwandelte, in der Ferne auf sie gewartet hatte. Überhaupt sah sie überall Gesichter: im Teppich, in den Wolken sowieso, in der Anordnung der Bücher, den Falten des Bettzeugs.«, »sie schüttelte ihren Körper, als wäre sie vom Teufel besessen, dass sie Bauchschmerzen davon bekam und sich das Sonnengeflecht in eines aus Draht verwandelte«.

das erinnert an schilderungen von rauscherfahrungen nach der einnahme von drogen. offenbar waren die beschwerden, neben fieber und kopfschmerzen, mit entsprechenden visionen verbunden, die auch durch schmerzmittel verursacht wurden. die furie war eine römische rachegöttin, lateinisch furia bedeutet wut, raserei, brunst, verzückung, rasender dämon, und entsprach den griechischen erinnyen, unterirdischen rachegöttinnen, die töchter der nacht hießen. am ende des furien-kapitels deutet die autorin an, daß durch die erkrankung vielleicht etwas in ihr verbrannt sei. so gesehen könnte die krankheit eine seelische initiation mit jenseitsreise und höllenaufenthalt gewesen sein, die in ein neues leben auferstehen ließ. dann hätte sie in schottland eine geistererfahrung an sich selber gemacht.

ebenfalls in schottland beschreibt sie das entzünden eines kaminfeuers: »so ein Feuer fesselt in vielfacher Hinsicht ‒ beim Hinsehen beruhigt es, das Knistern ist angenehm, es muss ständig angestupst, umgedreht und neu gefüttert werden. Es gibt keine Ruhe, dauernd geht der Blick in den holzfressenden Schlund. Man steht immer wieder auf.« das feuer, das geborgenheit gab und das überleben sicherte, war einst der mittelpunkt einer  menschengemeinschaft und der feuermeister, oder die feuermeisterin, von magischer bedeutung. in norwegen sagte man beim prasseln des feuers, loki, der trickster, der auch als feuergott gedeutet wurde, schlage seine kinder.

reiseberichte vom urlaub auf einem hausboot, der schwimmenden alternative zum baumhaus, an der havel beschließen das buch. über das boot schreibt sie: »Es ist fast zehn Meter lang, viereinhalb Meter breit und wiegt ungefähr sechs Tonnen. Zwei Ankerpfähle halten es, wie ein Haus auf zwei Stelzen. Der eine befindet sich am Bug Steuerbord, der andere am Heck Backbord. Es hat auch einen richtigen Anker, der zwischen zwei und fünfzehn Meter Wassertiefe zum Einsatz kommen kann und dessen Benutzung ein gewisses Maß an Routine erfordert. Er würde das Boot nicht stabilisieren, was unschwer einzusehen ist.«

»Es ist anders, vom Wasser aus auf Land zu sehen, als vom Ufer aufs Wasser. Mit einem Hausboot liegt man still. Die Tiere kommen hervor, beäugen einen, tauchen ab, ignorieren irgendwann die Gartenlaube vor ihrer Haustür und gehen ihren gewohnten Geschäften nach.« »Der Blick aus dem Fenster am Morgen: Ein Graureiher steht zwei Meter entfernt. Dann der Aufbruch ‒ volle Fahrt voraus.« neben graureihern, die an hiesigen flüssen wieder zunehmen, finden sich enten und krähen am hausboot ein. selbst ein bussard jagt am wasser, eventuell weil beutetiere wie mäuse und hamster seltener geworden sind. frösche und andere amphibien gehören aber seit jeher zum speiseplan der bussarde. deutsch heißt der mäusebussard auch unkenfresser.

eine fahrt über einen kanal beschreibt die autorin so: »Weiden ragen vom Ufer ins Wasser. Reiher sitzen im kahlen Geäst, Ruhe, die durch das Geräusch unseres Motors gestört wird. Hier liegen viele Hausboote, große Kähne, kleine gemietete. Wie im Urwald ist es hier. Abgebrochene Äste, umgestürzte Bäume. Die Bruchstellen sind frisch. Seerosen zu beiden Seiten. Eine Idylle, grün, üppig, geheimnisvoll. Beruhigend, dass keine Schlangen in den Bäumen hängen, keine Krokodile ins Wasser gleiten.« bei manchen naturvölkern wurden krokodilen menschenopfer gebracht. fliegende schlangen, die man auch drachen nannte, waren eine der vielen legenden der antike. vermutlich hatte man berichte über flugechsen und flugfrösche, die auf bäumen leben und größere sprünge, auch von baum zu baum, durch die luft machen können, irrtümlich auf schlangen bezogen. der archaeopteryx, also urvogel, eine übergangsform vom saurier zum vogel, der wahrscheinlich einen befiederten saurierschwanz hatte, den er beim gleitflug benutzte, könnte so ähnlich geflogen oder gesprungen sein.

sabine raczkowski nennt und reflektiert auch autoren und bücher, die sie während der reisen las oder als hörbuch hörte, so seneca, fjodor dostojewski, ernest hemingway, george orwell, jerome salinger, truman capote, john updike, philip roth, t.c. boyle, amos oz, wenedikt jerofejew, max frisch, friedrich dürrenmatt, martin walser, daniel kehlmann oder walter moers. teilweise bezieht sie details aus den gelesenen und gehörten büchern in ihren reisebericht ein. allzu sehr wollten die reisenden die bücher jedoch nicht mit dem realen leben verbinden. beim hören der »Reise nach Petuschki« von jerofejew tranken sie keinen wodka. heinrich heine gab in seiner »Harzreise« eine ironische lektüreempfehlung für reisen: »Auch erregen Gespenstererzählungen ein noch schauerlicheres Gefühl, wenn man sie auf der Reise liest, in einem Hause, in einem Zimmer, wo man noch nie gewesen.« am intensivsten wirken gespenstergeschichten freilich, wenn man sie bei den gespenstern selber liest.

zum buch gehören wieder fotografien und fotomontagen von sabine und rainer raczkowski. fotos aus schottland etwa zeigen grauweiße wolken über grüngelber landschaft. urlaubsreisen sind wie bewegte bilder, also filme, mit realen orten und personen. die musik, die man während der reisen hörte, wird ebenfalls erneut erwähnt: tom waits, der eine rauhe sensibilität zur kunstform macht, janis joplin, die ihre innere freiheit auch aus ihrer illusionslosigkeit gewann, patty smith, die zugleich zur hochkultur, subkultur und popkultur gehört, alles auch nachfahren des urvaters der amerikanischen poesie, walt whitman, jethro tull, die traditionen der schottischen musik und motive aus schottischen überlieferungen aufgriffen, und den verwandlungsfähigen david bowie.

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Wirklich reisen 2009 – 2018 von sabine raczkowski / Andalusien, Norwegen, Schottland, Plaue an der Havel«. »Telescope Verlag«, mildenau, 2019

Weiterführend → 

Lesen Sie auch Holger Benkels Rezensionsessay über den ersten Band von „Wirklich reisen“