Eiszeit

Die Kölner Haie, die von ihren Fans manchmal auch liebevoll Eismörder genannt werden, weil sie in ihren Kampfspielen regelmäßig ein gutes Dutzend Pucks zerhauen – so hart schlagen die dick verpackten Raubtiere zu – trafen eines Tages in einem eiskalten Heimspiel auf ihre heiß gehassten Rivalen aus Düsseldorf. Als die Chöre zu singen anhuben und das Kampfgeschrei der Fans von den Rängen der überfüllten Halle erschallte, „Rot-weiß-rot, wir saufen bis zum Tod!“, da hob ein Stürmer der Düsseldorfer EG den Hockeyschläger hoch über sein Haupt, nahm mit kraftvollen Schritten Anlauf, sprang mit den scharfen Kufen in die Höhe, und mit einem Doppelsalto über dem Eis Schwung holend hieb er den Puck vom Eis weg mit einem Schlag, der die Chöre verstummen ließ, als der Puck, der in tausend mal tausend  Splitter aufgelöst in die Zuschauer schoss, die Menge schwarz einfärbte.

Da gingen die Haie mit allen Geräten auf die Düsseldorfer los, schlugen ihnen die Rüstungen kurz und klein, stellten sie vors Gehäuse und rasten auf dem von ihren Fußeisen gepeitschten Eis wie ein Mann auf den bewusstlosen Haufen zu, jeder einzelne mit ausgestrecktem Bein, und stießen mit strahlender Fußspitze die Feinde durch ihr Tor, in die Bande hinein, mitten durch eine Altbier-Reklame. Das Publikum tobte. Auf der leuchtenden Anzeigetafel flackerte das Resultat des Sieges und über die Lautsprecher tönte die Hinrichtungsmelodie, der Triumphmarsch aus Aida. Dann schmolz das Eis.

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Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006

Ulrich Bergmann bezeichnet den Zyklus Kritische Körper als ‚Criminal Phantasy’. Der Leser findet in diesen Kurzgeschichten eine für diesen Autor typische Montagetechnik, unterstützt durch einen imagistischen Bildgebrauch und die Verwendung extremer Bilder. Von der Figurenzeichnung bis zum Handlungsablauf ist jederzeit klar, wie in diesem Zyklus die moralischen Grenzen verlaufen. Bergmann schreibt gegen den drögen Realismus der modernen Literatur an, und in der Tat besteht das Realistische seiner Literatur darin, das Grausame in seine Texte einfließen zu lassen, wobei sie plausible Beschreibungen des Innen und des Außen seiner Figuren auch ins Fantastische verlängern. Er erklärt uns eine Welt, in der sich die Bedeutung der Wirklichkeit nicht an der Oberfläche erschließt. Der Leser muss sich selber von der Abgründigkeit überzeugen.

Weiterführend → Lesen Sie auch zum Zyklus Kritische Körper den Essay von Holger Benkel.