Verrannt

Als der Kraftmensch mit dem langen Stab aus Fiberglas auf die Piste lief um über die Latte zu springen, sah die schöne Frau, die es liebte, wenn Männer für sie in die Luft gingen, obwohl sie die Stabilität ihrer Seele viel höher schätzte, wie der Mann kurz vor dem Absprung, während er ihre Augen über den erregten Brustspitzen suchte, so unglücklich stolperte, dass er mit dem Kopf (ein kaum hörbarer, aber entsetzlich dumpfer Schlag) gegen das Ende seines in die Erde gerammten Stabes stieß, der sein Antlitz von der Stirnmitte bis zum Kinn spaltete. Die halben Gesichter fielen auf den harten Boden und zappelten, wie Kreisel in schnellen Drehungen, das eine Auge links, das andere rechts von der Stange, auf wippenden Knochenschalen hin und her, als suchten die aufgerissenen Augen eine neue Höhe, während der Rumpf im Sturz die Richtung verlor und gegen die linke (oder rechte) Stange prallte und sie umriss. Die Latte, die durch den Stoß aus der Halterung geschleudert wurde, fiel schief herab und schlug zitternd und scheppernd auf die Tartanbahn neben der Sprungmatte. Dann erst kamen die Schädelknochen zur Ruhe. In den glänzenden Augen spiegelte sich der blaue Himmel. Wie schön er aussieht, dachte sie, wie stark!

 

 

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Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006

Ulrich Bergmann bezeichnet den Zyklus Kritische Körper als ‚Criminal Phantasy’. Der Leser findet in diesen Kurzgeschichten eine für diesen Autor typische Montagetechnik, unterstützt durch einen imagistischen Bildgebrauch und die Verwendung extremer Bilder. Von der Figurenzeichnung bis zum Handlungsablauf ist jederzeit klar, wie in diesem Zyklus die moralischen Grenzen verlaufen. Bergmann schreibt gegen den drögen Realismus der modernen Literatur an, und in der Tat besteht das Realistische seiner Literatur darin, das Grausame in seine Texte einfließen zu lassen, wobei sie plausible Beschreibungen des Innen und des Außen seiner Figuren auch ins Fantastische verlängern. Er erklärt uns eine Welt, in der sich die Bedeutung der Wirklichkeit nicht an der Oberfläche erschließt. Der Leser muss sich selber von der Abgründigkeit überzeugen.