1. Szene
Moderatorin nimmt einen Schluck aus einem Wasserglas, dann: Herzlich Willkommen auf der siebenten Welle. Wie sie hören ist hier schon einiges am Überlaufen, so zum Beispiel unser Enthusiasmus für die neue Oscar- Preisverleihung. Die Sternchen sind vom Himmel gefallen und nun kann man sie life oder auch im Fernsehen sowie via Internet bei der Übernahme ihrer Preise beobachten. Wird Halle Barry wieder einen weiten Ausschnitt tragen? Sind Angelina Jolies Lippen schmollend und voll wie eh? Wer kann Brad Pitts Schneckenchecker- Blick widerstehen? Who doesn´t want to marry Johnny Depp? Sie sehen, nein, Verzeihung, sie hören, die Begeisterung schwappt über mich. Es-
Raschelgeräusche, die die Regisseurin durch reiben an ihrem Pullover erzeugt. Ein Sirren.
O.
Offenbar.
Haha.
Also offenbar, meine Damen und Herren, sind es nicht nur die Radiowellen, die Zuschlagen.
Ah.
Hm.
Ja, also sie verzeihen doch diese platte Metapher.
Nein.
Aber hier lief eben eine Nachricht ein. Moment:
Rom – Tausende Flüchtlinge sind innerhalb von nur 48 Stunden von der italienischen Marine und von Handelsschiffen im Mittelmeer an Bord genommen worden. Italiens Innenminister Angelino Alfano gab die Zahl der Migranten, die aus den teils seeuntüchtigen Booten gerettet worden sind, am Mittwoch in Rom mit 40000 an.
Auf einem der Boote, die in Afrika in See stachen, soll nach seinen Angaben mindestens ein Migrant tot aufgefunden worden sein. „Die Ankunft von Booten reißt nicht ab, und der Notstand wird immer größer“, sagte der Minister.
Zwei Handelsschiffe waren am Mittwochvormittag noch dabei, allein aus zwei Booten insgesamt mehr als 650 Menschen aufzunehmen. Italiens Marine berichtete von weiteren Rettungsaktionen in der vergangenen Nacht. Der Geheimdienst warnte schon vor Wochen.[1]
O.
Also.
Au.
Ich fühle so etwas wie Emotion.
Empathie, wissen sie!
Ehrlich!
Das bringt das Fass zum Überlaufen!
Au!
Ein Flüchtlingsboot in Seenot.
Tausende Afrikanische Menschen, die auf eine bessere Zukunft hoffen.
Offenbar.
O.
Ja.
Was soll ich sagen: die Not scheint groß zu sein.
Nein, ich will natürlich keine Panik herauf beschwören.
Ich habe das Gefühl, dass ich in Moment jedoch eher ausrinne als überschäume.
Wasser ist ganz schön gefährlich.
Nicht.
Haha.
Aber jetzt zum Wetter.
Also.
Morgen Regen.
Oje.
Regen.
Wasser.
Sintflut.
Die Regisseurin nimmt Wassergeräusche auf, live. Sie spielt dabei mit dem Glas, aus dem die Moderatorin trinkt.
Ertrinken.
Das ist ein Geräusch, stell ich mir so vor.
Eine Art Rauschen, das einem durch die Nase schießt.
An den Ohren tönt.
Ich werde mit Wasser angefüllt.
Oben und unten.
Werde prall wie ein Luftballon.
Gleich platze ich.
Ich falle.
Oder steige ich.
Die Richtungen, die Verhältnisse heben sich auf.
Ich möchte in die Höhe.
Nein, aufhören zu kämpfen.
Wird doch alles noch Schlimmer, wenn man gar nicht weiß, ob man die Richtung kennt.
Wo oben ist und wo unten.
Politiker 1 Ton 1, offiziell:Meine Herren.
Also Angesichts der Lage.
Würde ich vorschlagen: Abwarten.
Politiker 2 Ton 1, offiziell: Durchaus, Herr Kollege.
Moderatorin: Einstweilen also ein paar Fakten zur Lage, meine Damen und Herren. Weil ja Zahlen und Daten helfen sollen, nicht? Auch gegen Wahnsinn und Wasser, hab ich mir zumindest sagen lassen. Also: Berlin – In Italien explodieren die Flüchtlingszahlen: Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sind seit Jahresbeginn etwa 18.000 Bootsflüchtlinge dort angekommen. Das wird nicht ohne Folgen für andere europäische Länder bleiben. Deutschland rechnet damit, dass die Zahl der Asylbewerber weiterwachsen wird. Bereits im vergangenen Jahr hatten hierzulande so viele Menschen Asyl gesucht wie seit 15 Jahren nicht mehr. Halten sie sich fest! Ist das nicht irre? Und nun zum Wetter.[2]
***
Leseprobe aus dem Band Heldenreise, Podium, Wien 2019
[1] Vgl.: http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-marine-greift-40000-fluechtlinge-im-mittelmeer-auf-a-963383.html
[2] Vgl.: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-in-italien-deutschland-rechnet-mit-mehr-asylbewerbern-a-964160.html
Weiterführend →
Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Vertiefend zur Lektüre empfohlen, das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Sophie Reyer und A.J. Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhallein der Reihe MetaPhon.