Mhmm.

Schlange, sage ich und recke und strecke mich wohlig im lebensvollen Traumbett, stehe auf, tanze federnd auf beflügelten Füßen zum Kühlschrank, zum Toaster, zum Tisch. – Was willst du essen?, sagt Schlange. – Kalt geschleuderten Honig auf bayerischer Butter über einer Scheibe paderbornisch gebackenen Roggenbrots, sage ich, dazu ein Tässchen expressiven Kaffees… – Mhmm, sagt Schlange, das will ich auch…

Ach Schlange, sage ich, wie gut, dass ich lebe, wie gut für die Welt, die ganze! – Ich weiß, sagt Schlange, – und? – Nichts, sage ich, ich widme mich allen meinen Nächsten, ich gebe mich hin an die Welt, an die kleine und die große, und ich frage mich zwischen diesen Gedanken: Schneide ich mir noch eine Scheibe von mir ab? – Nein, sagt Schlange, heute mal nicht, morgen ist auch noch ein Tag. Gib dich langsam hin. Genieße dein orgasmisches Selbstgefühl! – Ja, sage ich, ich koste es aus im Dienst an der Menschheit. Morgen geht es weiter. – Ja morgen!, sagt Schlange. – Vielleicht auch heute Nachmittag, sage ich, morgen ist nicht erst morgen, morgen ist morgen, wenn noch gar nicht morgen ist, morgen ist jetzt oder nie. – Ich weiß, sagt Schlange, morgen ist immer dann, wenn du es sagst, und wenn du jetzt morgen sagst, ist es entschieden, dann ist die Zukunft erschaffen, deine Worte sind die Tat. – Genau, sage ich, morgen kann auch gestern schon gewesen sein. – Ach du, sagt Schlange, das ist deine eigene Relativitätstheorie. – Ja, sage ich, das sage ich mir auch. Im Bilde gesprochen bin ich die zur Praxis geronnene Theorie, nicht mehr und nicht weniger! Und so ist die Welt schön. – Ja, sagt Schlange, deine Welt! – Schlange, sage ich, weißt du, was ich mir aus der großen Ferne zurufe, die ich immer wieder aus lauter Freude an meiner innerdialektischen Auseinandersetzung mit mir selbst konstruiere, um mich besser genießen zu können in meinem geradezu kannibalischen Narzissmus? – Was denn?, sagt Schlange. – Die Wirklichkeit ist doch die härteste und zugleich gesündeste Droge, sage ich, die einzige, die mich immer wieder hochreißt, und von der ich nicht genug kriegen kann, und die mich nicht umbringt. Im Gegenteil, ich wandle sie um in mein ewiges Leben! – Ja, sagt Schlange, nicht mehr und nicht weniger!

Schlange, vielleicht bin ich aber auch nur, verstehe mich recht im wirkenden Bilde!, kalt geschleuderter Honig auf bayerischer Butter über einer Scheibe paderbornisch gebackenen Roggenbrots mit einem Tässchen expressiven Kaffees, bin, mir zum Gedächtnis und dir und euch allen zur Wandlung, mein eigenes Abendmahl. – Hmm, sagt Schlange.

 

***

Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

Further reading →

Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.