Ein-Mann-Stadt

Als er uns damals sagte, er würde gerne nach Graz ziehen, wusste er selber nicht, warum er gerade dort seiner Pilgerschaft ein Ende bereiten wollte.

Verwundert fragt er sich, wie er überhaupt all die Jahre glauben konnte, an ein Ziel zu gelangen, dass alte und neue Heimaten sich sein Wackellied oder wenigstens seine Stimme anhören würden. Als zweifelhaft erwies sich auch die Erwartung, mitten in einer belebten Straße weniger einsam zu sein als auf einem schwimmenden Baum.

Was geschieht ihm, wenn die Seele wie eine aus der Tasche gefallene Münze Stufe für Stufe, von einer Einsamkeit in die andere, nach unten rollt bis zu den tiefen Rinnen im Erdreich? Wer wacht noch über ihn? Fängt die Welt an, ihn zu vergessen? Aber nein, meint er, die Welt ist nicht schöner und nicht schwerhöriger, als sie schon vorher war. Schuld sei sein Kopf, der solche Trugbilder erzeugte, und das Blut, das sich in sinnlosen Kreisläufen verbraucht hat: Schlangenwege, die nirgendwohin geführt haben, unerreichbare Meere für einen Müdgewordenen, den Wellen bei seinen frühen Liebesspielen umspülten.

Langsam könnte er sich an diese Ein-Mann-Stadt mit der Spiraltreppe gewöhnen, auf der niemand außer ihm steigt und runterrutscht, und sogar an das karge Mann-Ginsterbusch-Gespräch. In der Telefonleitung pustet sowieso nur noch der Wind. Früher haben wenigstens die Grillen gezirpt.

Vielleicht ist alles einfacher, als es ihm scheint. Sonst würde er hinter dem Busch auf eine helle Nacht warten, um neu aufzubrechen. Diesmal ziellos. Mit einer Grille von einem anderen Stern.

 

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