Salz wohl

 

Eigentlich nicht, nein, gar nicht, so kann ich das nicht machen, dachte sich Herr Nipp noch, als er die letzte Kurve zum Ziel nahm. So etwas musste er sich doch nicht antun. Er war mal wieder durch, vollkommen und musste doch ein nettes Gesicht machen, damit die Mitfahrerin auch nicht denken mochte, er sei schon am Ende. Das darf man einfach nicht zeigen, egal wie besch… schlecht es mir auch geht, diese Blöße gebe ich mir nicht, dachte er.

Aber fangen wir am Anfang an, so es den überhaupt gibt, denn spätestens seit Watzlawick wissen wir ja, dass Kommunikation nicht in Kausalketten auflösbar ist. Also nicht bei Lucy angefangen, dem kleinen Hominidenmädchen, vor Jahrzehnten in der Afrikanischen Wüste gefunden, das letztlich doch ein Junge war. Wo genau? Er wusste es nicht. Auf jeden Fall hatten die Wissenschaftler damals vom Missing Link gesprochen, der nun endlich endlich gefunden sei, die Brücke zwischen den Menschen und den Affen. Nein, genau hier sollte Herr Nipps Geschichte eben nicht anfangen. Auch nicht bei Adam und Eva, die vor der Langeweile des Paradieses geflüchtet waren in eine raue Welt, eine mit Herausforderungen und nicht so langweiligen abendlichen Gesprächen… eine Welt mit Sünde, mit Leidenschaft und Verfehlungen, eben Menschenwelt.

Herr Nipps Geschichte fing einen Tag vorher wahrscheinlich schon an, also nicht vor Lucy, auch nicht am vorletzten Tag des Paradieses, sondern am Tag vor seiner Fahrradtour. Mittags hatte er sich ein Kichererbsengemüse gemacht. Das lag ziemlich schwer im Magen und verursachte einige Komplikationen im Darmbereich, naja ganz nach dem Motto, jedes Böhnchen gibt ein Tönchen – jede Erbse einen Knall. Aber das konnte doch einfach nicht die Ursache für den fast erlebten Zusammenbruch des Kreislaufs gewesen sein, auch nicht die zweieinhalb Gläschen leichten Weißweins aus Frankreich, die ein Freund freundlicherweise zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt hatte. Auch die schlecht durchschlafene Nacht, in welcher er die längste Zeit mit offenen Augen dagelegen, die restliche Zeit mit wirren Fieberträumen verbracht hatte, konnte wohl kaum als Ursache herangezogen werden. Auch die halluzinatorischen Lichterscheinungen nicht, die seinen Blick morgens umflorten. Vielleicht das Wetter? – Ach was, niemandem werden Temperaturen um die 25 Grad irgendetwas ausmachen. Es konnte weder an den Zigaretten noch am Kaffee liegen, auch nicht daran, dass er sich anderweitig körperlich verausgabt hatte… Nein, das alles hatte damit nichts zu tun.

Wahrscheinlich, entschied er, lag es einfach daran, dass er sein Frühstücksei nicht mit Senf, sondern mit Salz gegessen hatte.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421