Meister der Duplizität

 

Der Lyriker Oskar Pastior verfügte testamentarisch die Gründung der Oskar-Pastior-Stiftung zur Förderung experimenteller Literatur. Zu seinem Gedenken treffen sich zu Pfingsten Urs Allemann (Goslar), Gabriel Horatiu Decuble (Bukarest), Oswald Egger (Hombroich), Elke Erb (Berlin), Jean-René Lassalle (Bad Krozingen) sowie Herta Müller, Monika Rinck, Ulf Stolterfoht, Sissi Tax und Ernest Wichner (alle Berlin) auf der Raketenstation Hombroich. Sie nutzen die Tage mit Referaten und Statements zum Austausch über Oskar Pastior als übersetzendem und als übersetztem Dichter, ebenso zum Gespräch über das eigene poetische Tun.

Oskar Pastior wurde 1927 in Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren. Von 1945 bis 1949 war er im sowjetischen Arbeitslager im Donbas. Nach seiner Rückkehr schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, begann ein Studium der Germanistik und arbeitete beim Rundfunk in Bukarest. 1964 erschien der erste Gedichtband «Offene Worte». 1968 floh er in den Westen. Seit 1969 lebte Pastior als freier Schriftsteller und Übersetzer in Berlin. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Peter Huchel-Preis und den Erich Fried-Preis. Oskar Pastior war Mitglied der Werkstatt für Potentielle Literatur OULIPO in Paris, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt sowie der Akademie der Künste in Berlin. Oskar Pastior starb am 4. Oktober 2006 in Frankfurt/Main während der Buchmesse. Die Verleihung des ihm zugesprochenen Georg Büchner-Preises erfolgte posthum.

Nach seinem Tod wurde am 28. April 2008 die Oskar-Pastior-Stiftung in Berlin gegründet. Oskar Pastior hatte dies testamentarisch verfügt und die Stiftungsratsmitglieder Marianne Frisch, Herta Müller, Klaus Ramm (Vorsitzender), Dierk Rodewald, Ulf Stolterfoht, Christina Weiss und Ernest Wichner (Stellv. Vorsitzender) benannt. Die Stiftung hat das Ziel, die literarische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit experimenteller Literatur sowie mit dem Werk von Oskar Pastior zu fördern.

Verstrickungen mit dem rumänischen Geheimdienst

Oskar Pastior wurde postum vorgeworfen, von 1961 bis 1968 unter dem Decknamen „Otto Stein“ Inoffizieller Mitarbeiter für den ehemaligen rumänischen Geheimdienst Securitate gewesen zu sein, nachdem er zuvor selbst vier Jahre unter deren Überwachung stand. Der Schriftsteller und Journalist Hans Bergel wies 1990 auf eine mögliche Verstrickung des Dichters hin.

Der Schriftsteller Dieter Schlesak entdeckte um 2010 beim Studium seiner Securitate-Akte, dass Oskar Pastior ihn im Rumänien der sechziger Jahre als Inoffizieller Mitarbeiter für den ehemaligen rumänischen Geheimdienst Securitate bespitzelt habe. Der Historiker Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München, veröffentlichte im gleichen Jahr eine Studie zu der Frage, ob Oskar Pastior inkriminierende Informationen über rumäniendeutsche Schriftstellerkollegen dem rumänischen Geheimdienst geliefert hatte. Unter anderem wurde aus Pastiors Securitate-Akte zitiert: „In der Zusammenarbeit mit der ‚Securitate’ habe er [Pastior] sich als korrekt erwiesen, die ihm auferlegten Aufgaben erfüllt. Er habe nützliche Materialien geliefert über verschiedene ‚suspekte Personen’, auf die er angesetzt worden sei, vor allem westdeutsche Staatsbürger, die er entweder offiziell, über seine Dienststelle kontaktierte oder auf Geheiß der ‚Securitate’“.

Stimmen aus der rumäniendeutschen Literaturszene:

Dieter Schlesak, der seinen ehemaligen Freund Pastior in der IM-Affäre zunächst in Schutz genommen hatte, bezeichnet diesen nach Einsicht seiner eigenen Akte als den „Hauptspitzel“, der von der Securitate auf ihn angesetzt war. Schlesak warf Pastior vor, er habe den Selbstmord des jungen siebenbürgischen Dichters Georg Hoprich mitverschuldet. Der Literaturkritiker Ernest Wichner entgegnete Schlesak , hier „lediglich ein Gespräch mit Hans Bergel als Quelle an[zu]geben, eine vom Hörensagen je nach Bedarf so oder anders zu interpretierende Biertischsaga.“

Der Schriftsteller Richard Wagner verlangte die schonungslose Aufklärung der Securitate-Verstrickung Pastiors. Für Wagner war Pastior ein „Meister der Duplizität“. Er stellte auch die Haltbarkeit der Oskar-Pastior-Stiftung in Frage. Wagner betrachtete Pastiors Werk als „ein Feuerwerk an Sprachartistik“, dem aber „jede moralische Begründung“ fehlt.

Grete Loew, eine ehemalige Bürokollegin Pastiors in Hermannstadt, erhob Vorwürfe gegen ihn. Sie habe 27 Monate in politischer Haft gesessen, weil sie angeblich regimefeindliche Gedichte von Pastior aufbewahrt hatte. Pastior habe sich nie bei ihr entschuldigt.

Nobelpreisträgerin Herta Müller, deren Buch Atemschaukel unter anderem auf Erinnerungen ihres Kollegen und Freundes Pastior an die Gefangenschaft in einem sowjetischen Lager beruht, zeigte sich 2010 „enttäuscht“, „bestürzt“, „entsetzt“ und „verbittert“ Sie habe zuerst „Erschrecken“, „auch Wut“, dann „Anteilnahme“ und „Trauer“ verspürt. Herta Müller sagte, „natürlich sei es schrecklich, wenn man von jemandem, den man zu kennen glaubte, etwas Dunkles, kaum Fassbares erfahre, etwas, was einem nie anvertraut wurde. Dann aber habe sie sich darauf besonnen, wie verletzbar, erpressbar Pastior gewesen sei: ein Homosexueller in einem Staat, der Homosexualität mit mehreren Jahren Haft ahndete“.

Stefan Sienerth meinte: „Der Mensch Pastior muss neu bewertet werden“, riet dann jedoch mit Bezug auf die Securitate-Akten „…zu Besonnenheit und zu Behutsamkeit im Umgang mit dieser seltsamen Überlieferung“.

Für den Schriftsteller Claus Stephani, selbst Ziel von Berichterstattungen über Verstrickungen mit der Securitate seit 1961, ist Pastior „ein Gefangener“ geblieben: Man sollte auch nicht vergessen, dass Pastior immer wieder vom Schicksal bestohlen wurde – um seine Jugendjahre, die er in einem sowjetischen Arbeitslager verbringen musste, um die Freiheit, danach, selbst entscheiden zu dürfen über sein weiteres Leben“.

Die Pastior-Stiftung plante eine Forschungsgruppe einzusetzen um die Verstrickung von Schriftstellern und Geheimdienst in der Diktatur – auch an Pastiors Beispiel – zu untersuchen.

 

 

***

Öffentliche Lesung in der Veranstaltungshalle, Raketenstation Hombroich 32
Heute, 23. Mai 2015, ab 19:00 Uhr

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.