Rheinsein

In seinen seriellen Arbeiten verwendet Thomas Suder ein bekanntes Muster, den Körper speziell für männliche Blicke darzubieten – um diese desto nachhaltiger zu enttäuschen: das berühmte Ausklappbild einschlägiger Magazine in der Mitte jeden Heftes, das angeblich Teile der amerikanischen Jugend mit der Vorstellung heranwachsen ließ, Heftklammern gehörten zur erotischen Ausstattung einer nackten Schönen. Träfe dies zu, wäre es der schlagende Beweis für die These, wonach sich der menschliche Körper längst in seine Darstellungsformen verflüchtigt habe. Keine Fluchtpunkte sind in Suders Arbeiten auszumachen, mit denen sich dieses Wesen noch in der richtigen Welt, zwischen Einkaufszetteln wohl und Coiffeurtermin, halten könnte. Wer freilich ein bißchen genauer hinschaut, findet – sozusagen als Daseins–Anker im aufgewühlten Linnen – ein Stück schwarzes Selbstauslöserkabel. Damit machte sich der Künstler selbst zum Objekt nicht so sehr der Begierde, sondern des Traumes, der Kunst. Mag diese letzte Maskerade noch so naheliegend sein, so liest sie sich doch ein bißchen wie eine Fußnote zum eigenen Werk: “Auch als Künstler bin ich immer noch jemand anderes.” Zur Post–Postmoderne gehört die Vielheit der Identitäten. Suders Bilder sind gleichsam doppelt vermittelt. Es sind Bilder über Bilder, über Bilder von erheblicher sozialer Reichweite allerdings und einem nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die gängige Wahrnehmung jeglicher Realität.

Das Kunstwerk als sichtbare Gabe, dargereicht im symbolischen Tausch, hat die unmittelbare Evidenz einer archaischen Opferhandlung. Der Künstler wird vom Medienstar zum Produzenten von Warenfetischen. Sein Auftritt verbindet mediale Allgegenwart in Fernsehen, Internet und Regenbogenpresse mit der alten, singulären Realpräsenz auratischer Werke. Demzufolge vollführt Suders Kunst eine Zangenbewegung von Hybridität und Ursprünglichkeit.

Stan Lafleur präsentierte in Linz, der „bunten Stadt am Rhein“, den aktuellen Stand seines Großprojekts rheinsein. Mit ironisch spitzer Feder spießt er treffsicher die Eigenarten seiner Stationen auf. Eine Enttarnung provinzieller Selbstverliebtheit, von Xanten – wo alle Wege zur Tourist–Information führen – bis hin zu Schaffhausen: volle shampoonade!

Rheinsein ist eine komplexe neuartige literarische Hybridform um Faktisches und Fiktives zum Thema Rhein und derzeit wohl die umfassendste zusammenhängende, dabei stets wachsende Sammlung rheinischer Kulturgeschichte im Internet: als Weblog angelegt versammelt und kreuzt Rheinsein höchst unterschiedliche Textsorten – und archiviert sie zugleich im Sinne von lebendiger, das heißt für jedermann frei und einfach zugreif-, hinterfrag- und kommentierbarer Musealisierung.

Rheinsein war gedacht als ein öffentliches, zeitlich auf das Jahr 2009 begrenztes Recherchejournal für ein Versepos. Ein Jahr erwies sich als zu kurze Spanne, dem eingehenden Material auch nur annähernd Rechnung zu tragen. Rheinsein sammelt weiterhin, dokumentiert, mittlerweile läßt sich ohne Übertreibung behaupten: musealisiert auf einzigartige, pionierhafte Weise rheinische Kulturgeschichte in netzaffiner Form: Notizen, Eindrücke und Werke, die dem Autor während seiner Forschungs- und Geistreisen entlang der Ufer und durch die rheinische Geschichte zufließen, derzeit vorsichtig erweitert um (Bewegt)Bild- und Tondateien. Rheinsein nimmt seinerseits Einfluß auf dieses Material, indem es teilweise bearbeitet, kommentiert und fiktionalisiert. Auf diese Weise entsteht über die reine Dokumentation hinaus ein Mosaik, das rheinische Räume und Zeiten aufnimmt, kaleidoskopisch zerstreut und zu veränderten Mustern zusammenfügt, sprich: wieder- beziehungsweise neubelebt.

 

 

***

Rheinsein von Thomas Suder und Stan Lafleur

Rheintor, Linz – Anno Domini 2011, Edition Das Labor 2011. – Limitierte und handsignierte Auflage von 100 Exemplaren. – Dem Exemplar 1 – 50 liegt ein Holzschnitt von Haimo Hieronymus bei.

Rheintor, Photo: Klaus Krumscheid

Weiterführend →

Bei KUNO präsentieren wir Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten, wobei das Denken von der Sprache kaum zu lösen ist. Einen Essay zur Rheintorreihe finden Sie hier.

Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.