Zweites Nachtstück

 

Es ist das Labyrinth, das dich verrückt macht. Stunden oder Wochen wandelst du schon, ein ausgemusterter Straps, ein verrosteter Kohlenkasten vielleicht, Gott gebe dir die Kraft, ein Ende zu setzen, sagst du – auf seiner Liste bist du sowieso. Die Jahre auf den Nervensofas vorbei, jenes Labern über die Leere, sagst du; ein Mädchen kommt alle vierzehn Nächte zum Ficken, immerhin, sagst du dir, ein Hauch von Einklang und Schwingung, bevor es zerbricht. Jede Beziehung zerstückelt, bevor sie begann, in den Trillerpirouetten eines exotischen Dichters verlorn, oder im stakenden Tasten desjenen, den man den ‚Hand­begutachter‘ nennt. Gehetzt und verloren dein Stand, als du dich dem Treiben anpasstest, dem Establishment, rufen die vergreisten Revolutionäre, dem System, in dem ein jeder für sich ein Verlorener ist. Und auf der Flucht: du, der Einsame, enteinsamt, Widergänger, der nackt von Haus zu Haus eilt in den Nächten und auf die Fensterläden einschlägt … wissend, daß niemand dich hört, das tote Vieh in den Ställen vielleicht und mit jenen vor Zeiten vergessen; wissend, in verzweifelter Hoffnung … aber nur die Schar Kinder, die sich im Garten ums verfaulende Obst balgt, tretend und schreiend und mit dem Einbruch der Nacht längst schon vorbei. Du schlägst und hämmerst gegen die Fenster, bis du blutend, verweint aufgibst, zum Verschnaufen, bevor du beginnst, wieder zu hämmern. Blutig zusammenbrechen und in einen fahrigen Schlaf sich zu träumen, Ruhe für einen Moment, ist dein Traum; aber der Klopfdrang treibt dich schon weiter, eben jenes zu erreichen: zu schlafen, zu ruhen, weit von den hektischen Träumen der andern Verlornen entfernt. Du siehst Bauern beim Wasserholen des Nachts, oder träumst du es nur; sie sind bis auf die Augen vermummt, aus ihren löchrigen Eimern das Wasser im Mondschein weist auf die kargen Lichter der Höfe zurück, in die steinerne Haut ihres Eben-noch-Mensch-Seins. Und nachts wird heimlich geschlachtet, siehst du und hörst du vor allem, das unterdrückte Quieken der Säue, das verhaltene Röhren halbverhungerter Rinder, denen die Euter bald bersten – sie schmerzt schon lange, was ihnen die Gier der Vernunft angezüchtet … die fressende Überheblichkeit in den Städten wie den Häusern der Anger, fressend mit gelben, ausfaulenden Schimpansen­zähnen, jene, und mutierende, Schande der Insekten verzehrenden zoologischen Ordnung. In den Klopfpausen, im Ablicht der Sterne am Torfsteg, wirst du an die Ikonen in der Dorfkirche denken, den bleichen Schimmer ihrer Gesichter, die immerfort mit schlechtem Mundatem geküssten, gemalten Glieder der Finger, woran man die Krallen noch sieht, das Indiz der Kohorte. Einmal wird dicker Schnee die Straßen und Wege bedecken, und du wirst, so die Exekutive es zuläßt, noch unterwegs sein, tagsüber brummend ein Lied, ein Ende zu setzen … und nachts auf ein Nachtlager klopfend eben aus Angst vor dem Ende; die Milchstraße wird folgen mit glimmendem Blick, auch sie hat längst die Orientierung verloren, wirst du sagen; das weinerliche Funkeln verlöschender Sonnen erschwert dir den Weg, den dir Kometen freischießen werden – bis zur nächsten Siedlung im Torfmoor vielleicht, eine geflutete Wiese, auf der im Mondlicht Schafe ertrinken, verhungernd und hilflos … und ein vermummter Schäfer sein Ende hernimmt, daß du sein Brot essen wirst und ihn im schwarzen Nichts des steigenden Wassers wie einen Bruder versenkst. Aber noch hämmerst du hier, verschlafene Vögel fliegen auf, in hastiger Angst … die Striche einer verendeten Ziege dienen dir gegen den Durst; und du gehst und klopfst gegen die Läden der verlassenen Häuser, ziehst von Ortschaft zu Ortschaft; die Bauern vermummt, die Augen der Torfstecher wie glühende Kohlen, von der nächtlichen Arbeit im Stich, bedrohliches Wispern und Frömmeln um dich … und niemand, der irgendwo wohnt; deine Schläge auf die Fensterbänke ganz hohl; niemand, der dir tags auf den Angern begegnet, die schweigende Welt läßt einen raunenden Furz auf das Ende … das dich schon zeichnet, denkst du, deine Sohlen geschwollen, verbrannt; der Traum, der dich führte, nun gänzlich verknäult, jene Bitte um Ruhe in dir; Dunkelheit trifft dich, wenn du in die Sumpfwälder trittst, Nacht und das ferne Klatschen des Torfs; und hier setzt du dich endlich und gerätst in den Schlaf, hier nun, und abseits der Häuser, an die du geklopft hast vergeblich, jenseits der Träume, wonach du dich sehnst … ihre Schatten, sagst du, versinken im Sumpf, ihre Bewohner nur Irrlicht über den Wassern – ein Rattenkönig, träumt dir, tritt auf, führt die Regentschaft, die Zahl seiner Schwänze sein Volk … und so tappst du, tappst schweigend durchs Gewirr deiner Träume, wonach du dich sehnst: das Klatschen des Torfs, vermummte Gestalten, du schleifst eine Ziege hinter dir her … und du bist, träumend, ein Rattenkönig, der auf ein Nachtlager hofft in den Wäldern, von deinen Untertanen verfolgt und umringt, wissend, daß das Ende schon längst nach dir schielt. Und du bist, so träumt dir, der Liebhaber von duftenden Frauen; Bäurinnen und Torfstecherinnen; das Licht ihrer Stuben umfliegt dich … und sie tafeln dir auf; worum du gebeten hattest in den Dörfern, fällt dir im Träumen nun zu … immer drei Mädchen am Hals, brennt dir die Lunte, Papier, und das Lachen der Torfleute dringt aus den Stichen zu dir, derweil du in ihren Töchtern versinkst. Du liegst also endlich und träumst, abseits derer, auf die du gehofft hast; und weißt, daß dir nichts bleiben wird, als weiterzuwandern, wenn du, von Ratten benagt, in den Wäldern erwachst … was bleibt dir, als weiterzumachen, mit blutenden Knöcheln … dich vor Wölfen und Bären verstecken, die dir jenseits der Wege noch nachgehn, so auf ein Nachtessen hoffend, das Festmahl, aus dem du bestehst; immer ferner das Klatschen des Torfs, das Blöken der Tiere … zu wandern bleibt dir, bis an jenes Tal, wie du glaubst, hoch im Norden, denkst du mit klopfenden Gliedern, in das hinabzustürzen Einschlaf und Erlösung bedeuten, dein irdisches Ende. Vorerst bist du am Rufen, schlägst gegen die Läden der Fenster, und solange du nackt in den Sumpfwäldern liegst, bleibt dir der Traum, daß dich ein Mädchen zum Ficken besucht … du träumst ihren Leib, wie sie auf dir liegt, nachdem sie dich hastig erregt hat. Es ist das Fleisch eines exotischen Weibs, sagst du dir, das herrliche Loch einer Mulattin; und du spürst das Sekret ihres Geschlechts … du wirst weitergehen, das weißt du; und noch im Traum machst du dich auf, Gott gebe dir die Kraft, sagst du dir, an ein Ende zu kommen, an den Ausgang des Torflabyrinths, das dich noch einmal verrückt macht. Aber noch bist du am Klopfen, unbeirrbar zerschlägst du das Holz ihrer Fenster; und ihre Fratzen starren dich an, wenn du die Vorhänge teilst; ihre Augen, wenn du ihre Schultern berührst, mustern dich hohl … und wenn du dich, Rattenleib, ein verrosteter Kohlenkasten vielleicht, nach Norden wendest im Schlaf, verfolgt dich zwischen den Häusern das Schweigen der Anger.

 

 

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André Schinkel, porträtiert von Jürgen Bauer

Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.

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