Zu allererst habe ich ihn bei einer Lesung aus seinem Buch „Der Baron und die Fische“ wahrgenommen. Abstrus, skurril – dachte ich, ein kleiner Herzmanovsky-Orlando. Dann lernten wir einander beim Morgen-Kreis kennen. Ich fotografierte ihn und auch seine Tochter, die mich dann Jahre später bei meinem Aufenthalt in St. Petersburg betreute. Ich erinnere mich an sein herzliches Lachen, er lachte gern und laut, über alle möglichen eigenartigen Späßchen, auch über seine eigenen. Aber er war auch still und ernst, bedächtig, abwägend, unabhängig, objektiv. Eine Meinung, die er sich gebildet hatte, vertrat er zurückhaltend, aber unnachgiebig, was Inhalt, Wesen und Substanz betraf; über Formalitäten konnte man mit ihm reden. Wir sind einander oft begegnet, sowohl im Österreichischen P.E.N.-Club wie auch im Morgen-Kreis, zum Beispiel bei den Symposien in Ottenstein im Waldviertel. Peter Marginter war ein Genießer, glaube ich jedenfalls; und zum Genießen gehört auch das Maßhalten. In keinem Bereich war er maßlos, ich könnte mir das gar nicht vorstellen. Alles hatte seine Grenzen, weniger der Disziplin wegen, sondern vielmehr als tugendhafte Haltung. Er war ein fleißig Schreibender, vor allem aber ein unermüdlich Lesender. Er kannte die Literatur, die Weltliteratur und er kannte sich darin aus. Alles was er las, schien er zu verinnerlichen; auch im Sinne der von ihm als Selbstverständlichkeit angesehenen Persönlichkeitsbildung, zu der man nicht nur verpflichtet war, sondern die zugleich ein Geschenk, eine ungeheure Bereicherung, im Sinne eines Privilegs der Bildung war. Und so war er auch ein dafür Dankbarer. Und einer, der das Wissen aus der Vergangenheit nicht als Bürde mit sich schleppte, sondern dieses als Reichtum und Bereicherung auffaßte, als ein Haus mit vielen Räumen, die man betreten durfte und konnte; als ein Haus, ein Zuhause, in dem man lebte.
So haben wir ihn auch in London in seiner Residenz kennengelernt, als Peter Marginter nach einer Lesung von mir sowie von Matthias Mander und Gabriel Barylli beim Festival in Cheltenham 1991 mich und meine Lebensgefährtin Susanne auf eine Woche zu sich einlud und beherbergte und wir in den Genuß seiner großzügigen Gastfreundschaft kamen. Das Haus war hoch und schmal, eine enge Stiege mit vielen Stufen führte hinauf bis zum obersten Stockwerk, wo wir ein Zimmer bewohnten. Fast kamen wir mit unserem Gepäck nicht hinauf, aber Fahrud, so glaub ich hieß der Butler, ein freundlicher schwarzer Nubier, half uns bereitwillig. Hinter dem Haus hatte das Grundstück einen schönen Garten mit den verschiedensten Sträuchern und Blumen, vor dem Haus war eine Straße. Das Haus stand am Ufer der Themse. Man hatte einen herrlichen Ausblick, vor allem auch am Abend, wenn es dunkel war und überall die Lichter aufflammten und sich im Wasser der Themse spiegelten. Ein wunderbares Schauspiel! Vor allem sehr inspirierend für mich als Fotografen, der ich mich jahrelang fotografisch mit Spiegelbildern beschäftigte und die Ergebnisse meiner künstlerischen Arbeit auch in Fotoausstellungen zeigte. Der uns durch Marginter ermöglichte Londonaufenthalt war nicht nur ein großes Erlebnis für uns, sondern legte auch den Grundstein für weitere Aufenthalte in London, so zum Beispiel im Anschluß an die Lesung beim Poesiefestival in Swindon. Ich kannte London seit 1979, als ich mit meinem Übersetzer Harry Kuhner zu einer Lesung in einem indischen Club dort gewesen war. Jedenfalls war der Aufenthalt bei Peter Marginter und seiner Tochter damals in London der schönste von allen; dies auch dadurch, weil wir freundschaftlich, aber ohne Aufdringlichkeit betreut wurden, und uns selber mit im Supermarkt eingekauften Lebensmitteln versorgen konnten, sodaß der Aufenthalt auch finanziell für uns leistbar war. Bis heute sind wir dem Peter Marginter dafür dankbar.
Später haben Peter Marginter und ich uns fast nur mehr im Rahmen von PEN-Veranstaltungen oder bei sonstigen offiziellen Anlässen gesehen. DDr. Marginter war ja auch eine Zeitlang PEN-Generalsekretär. Als solcher nahm er bei meinen Kontroversen mit der damaligen Führung des Österreichischen PEN immer eine vermittelnde Rolle ein, er war stets auf einen gerechten Ausgleich bedacht, auch wenn dieser trotz seiner Briefe an mich nie mehr zustande gekommen ist und sich meine Beziehung zum PEN nie mehr wirklich verbessert, sondern in Distanz zu ihm höchstens irgendwie normalisiert hat. Immer aber war der Peter Marginter, vielleicht auch im Hintergrund, bemüht, die Wogen zu glätten. Und stets war er bei unseren Begegnungen von einer offenen, echten Herzlichkeit.
Das letzte Mal, aber ich konnte das ja nicht ahnen, sahen wir einander und sprachen miteinander bei einem zufälligen Zusammentreffen. Das war im wunderschönen Waldbad von Bad Fischau. Jeder von uns beiden schwamm im sehr kalten, doch wunderbar klaren und sauberen Wasser. Und plötzlich sahen wir einander, als sich unsere Schwimmrouten kreuzten. Der Peter Marginter lachte, eine solch unvermutete Begegnung an einem doch eher seltsamen Ort hatte irgendwie etwas Skurriles an sich, also etwas, das zu Peter Marginters Welt gehörte. Er war erstaunt darüber, mich und meine Susanne hier zu treffen. Ich war über seine Anwesenheit nicht so sehr verwundert, weil ich wußte, daß Marginter in Bad Fischau sein Domizil hatte. Trotzdem war diese Begegnung seltsam. Wir schwammen gemeinsam noch eine Runde, dann stiegen wir aus dem Wasser, trockneten uns ab. Marginter begrüßte Susanne, wir hatten eine kurze Unterhaltung. Dann sagte der Peter: „Mir ist jetzt kalt, ich geh mich umziehen.“ Und dabei lachte er. Wir sagten einander „Adieu!“ Der Peter drehte sich auf dem Weg zu seiner Kabine noch einmal um und winkte uns zu. Das war für mich sein letztes Zeichen. Es war Sommerende, fast schon Herbst. Im darauf folgenden Jahr ist Peter Marginter verstorben. Wenn ich an London denke oder die Fotos von ihm aus der gemeinsamen Zeit unserer „Morgen-Kreis“-Symposien betrachte, dann sehe ich ihn sowohl in meiner Vorstellung wie auf den Bildern vor mir, wie er herzlich lacht und dabei ein so positives Lebensgefühl und eine innere Harmonie mit sich und der Welt ausstrahlt, um die ich ihn manchmal wegen unserer grundlegenden Verschiedenheit beneidet habe.
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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010