Weihnachtsmarkt II

 

Schon wieder Siegen. Die Städte schmücken sich heute gerne mit Weihnachtsmärkten, da gibt es die berühmten wie im westfälischen Münster, die jeden Tag Heerscharen von Touristenbussen anziehen und damit Unmengen Geldes in die Kassen spülen. Nippes aus Holz, Filz, Wachs, Blech oder sonstigen Materialien, die kunsthandwerklich bearbeitet wurden, manchmal richtig schön, tolle Arbeiten, manchmal auch recht lustig oder amüsant, oft allerdings unerträglich kitschig. Egal. Die Menschen mögen diese Mischung aus sehen und riechen, schmecken und fühlen, reine Synästhesie, stöbern und werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch etwas finden. Vielleicht ein Notizbuch oder eine schöne Kerze aus Bienenwachs, natürlich handgezogen.  Es wurde sogar schon beobachtet, dass ganze Krippen aus Holz den Besitzer wechselten. Die wichtigsten Geschäfte allerdings, man kann es daran erkennen, dass dort ganze Menschentrauben aufeinander hängen, sind jedoch die Glühweinstände.

In Siegen hat jeder Stadtteil seinen eigenen Markt, der zieht dann nicht unbedingt Touristen an, aber Einheimische. In der Siegener Oberstadt zieht sich der Weihnachtsmarkt die gesamte Kölner Straße steil bergauf oder ab. In der Mitte häufen sich die Glühweinstände. Dort wird bis in den späten Abend gezecht. Menschen mit alkoholbedingten Ausfallerscheinungen laufen dann grölend durch die Straßen, vielleicht auch, weil gerade der richtige Fußballverein gewonnen hat. Nettes buntes Treiben mit hochroten Köpfen. Und manchmal finden sich auch seltsame rötliche Flecken an den Häuserecken, an den Rändern spritzig ausgefranst. Wegen des Straßengefälles müssen die Zecher stetig gegensteuern, stehen breitbeinig, sie würden sonst nach unten getrieben. In dieser Position kann ein geübter Weihnachtsmarktbesucher tatsächlich mehrere Stunden verharren, allerdings nur so lange der Konsum von Glühwein aus finanziellen oder körperlichen Gründen möglich ist. Gegen Nacht, wenn die Stände längst geschlossen haben, lassen sich die letzten Gäste einfach bis zur Bushaltestelle rollen. Eigentlich ganz praktisch, dachte Herr Nipp.

 

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019

Weiterführend →

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

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