Die Abwesenheit. Eine Nachforschung

 

Sich an den Katastrophen der Zeit, dem Umstand der Deformation und Versprengung des Einzelnen in ihr, zu reiben und so die eigene Existenz auszuloten, dafür sind die kreativen Geister des Jahrhundertbruchs, an dem wir zu leben haben, offenbar prädestiniert. So gesehen ist das Werk der halleschen Lyrikerin und Erzählerin Christine Hoba in ihrer Zeit eine folgerichtige Erscheinung – und doch ragt es aus dem Mainstream des zu selbstverliebten Kavalkaden neigenden Literaturbetriebs weit hinaus.

1961 in Magdeburg geboren, lebt sie seit langem in der Saalestadt, hier studierte sie Chemie und absolvierte eine Ausbildung zur Bibliotheksassistentin, ein Beruf, in dem sie noch heute arbeitet. Das Angehaltensein zu Ordnung und Übersicht: nicht zuletzt davon dürfte ihr Talent zur Darstellung des Labyrinthischen beeinflusst worden sein, das in ihren Texten, die in bisher je zwei Gedicht- und Prosabüchern veröffentlicht vorliegen, eine tragende Rolle neben dem Existentiellen, der Schilderung von Schmerz und Verlust, einnimmt.

Der Hang zu abstrusen Geschichten und dem Abzeichnen verfahrener Situationen liegt Christine Hoba seit jeher im Blut; seit einiger Zeit betätigt sie sich überdies in der großen Form. Nun hat sie ihren ersten Roman fertiggestellt, der zur Buchmesse im Mitteldeutschen Verlag erschien, er heißt: Die Abwesenheit und trägt den gewichtigen, an Thomas Bernhard gemahnenden Untertitel Eine Nachforschung. In ihm wird die Geschichte einer unglücklichen, eigentlich nicht stattgefundenen Liebe erzählt, die in eine noch unglücklichere Liebesgeschichte mündet und den Tod einer Protagonistin bewirkt, die fortan als Abwesende eine Art Motiv für den Eintritt der Ereignisse abgibt.

Man kann den Faden noch weiter spinnen: das Gegenüber des Erzählers bleibt verschwunden wie auch dessen Tochter, deren Vorhandensein dem Buch am Schluss eine fanalartige Wende gibt. Die Autorin verwebt dabei in Blendtechnik Erinnerung und laufende Handlung, Traumsequenz, Enthüllung, Innen- wie Außenschau zu einer dicht gefügten Geschichte, deren Grund und Wirken sich erst im letzten Drittel endgültig auflöst, bei aller Ausführung des waltenden Schicksals ein atemberaubendes Spiel.

Flankiert wird das Buch von der Gedichtsammlung Im Lufthaus, die im Herbst 2005 erschien und eine Reihe wunderbar hermetischer Texte enthält. Dass in der Hallenserin eine Dichterin von besonderem Format zu entdecken sei, ist auch den Juroren des MDR-Literaturpreises 2002 nicht verborgen geblieben, die sie mit einem der Hauptpreise auszeichneten; und für die Arbeit an ihrem zweiten Roman wurde sie von der sachsen-anhaltinischen Kunststiftung soeben mit einem Stipendium bedacht.

 

 

 

***

 

Die Abwesenheit. Eine Nachforschung. Roman von Christine Hoba. Mitteldeutscher Verlag 2006

Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.

Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.