Striptease

 

Die Masten schwankten, als der schwere Wind gegen die Zeltwände stürmte. Die Zuschauer auf den kreisrunden Rängen starrten in das riesige Maul eines Hais. Die Zähne schimmerten weiß und rot im Blinklicht. Die Arena war schwarz. Im Herzen des Hais schlugen Trommeln den Takt eines langsamen Marschs ohne Schritt. In der Kuppel kreisten Scheinwerfer und strichen langsam über die Wellen der knallenden Stoffwände. Die Lichtkegel wühlten in den Reihen der Zuschauer, die ihre Hälse ins Licht reckten, ohrfeigten das aufgerissene Maul und flossen immer wilder in die schwarze Mitte, bis sie im Trommelwirbel alle Strahlen des Lichts in den Rachen schossen. Zwischen den Zähnen schritten zwei Männer ins Licht. Die Trommeln verstummten. Das Licht verschluckte die Zeit. Die Männer waren eingehüllt in ein langes weißes Tuch. Es war um die Beine geschlungen, um den ganzen Rumpf, die Arme und den Hals, auch um den Kopf – bis auf einen kleinen Schlitz für die Augen. Sie blieben, verfolgt von den gleißenden Funken zitternder Lichtkegel, im stumpfen Sand der Arena stehen. Während die Trommeln wieder schlugen, stieg aus dem Hai eine Frau, ebenfalls in ein Tuch gewickelt. Als sie zu den Männern gestoßen war, bildeten sie zu dritt einen Stern, Schulter an Schulter, mit dem Rücken zur Welt.

Aus der Kuppel fielen drei Seile. An jedem hing ein lederner Fahrradsattel. Sie nahmen die Sättel vom Seil und verankerten sie fest im Sand, die Rohrstange nach oben. Der Rand des Rohrs war scharf geschliffen. Die runde Klinge schimmerte… glitzerte… blitzte… blendete… Eis für die Augen! Jeder der drei ging zwei schnelle Schritte rückwärts, sprang in den Handstand, mit dem Kopf genau über dem Rohr. Die drei Gesichter sahen in die Menge. Die Trommeln stockten. Dann flogen die Arme gleichzeitig auseinander, die Köpfe rammten ins Rohr, die Hände fassten die Hände der Anderen. Sie hielten sich fest. Alle sahen das Knirschen der Stange in den Schädelknochen. In ihren Köpfen raste das kurze Zischen und Brechen weiter. Die Körper standen aufrecht, fest im Sattel. Da lösten sich, angestachelt vom Sturm, der durch die Nähte der Welt wie in ein Vakuum einbrach, die Knoten des Tuchs an den Füßen und, erst langsam, dann immer schneller, drehten sich die Stoffe länger und länger von den Körpern, nie aber wirbelten sie gegeneinander, sondern peitschten immer härter die gierigen Augen der Zuschauer. Die aufgespießten Köpfe, zum Publikum gerichtet, starrten ins Leere, die Augen geöffnet, die Münder geschlossen. In dieser Haltung verharrten sie.

 

 

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Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006

Ulrich Bergmann bezeichnet den Zyklus Kritische Körper als ‚Criminal Phantasy’. Der Leser findet in diesen Kurzgeschichten eine für diesen Autor typische Montagetechnik, unterstützt durch einen imagistischen Bildgebrauch und die Verwendung extremer Bilder. Von der Figurenzeichnung bis zum Handlungsablauf ist jederzeit klar, wie in diesem Zyklus die moralischen Grenzen verlaufen. Bergmann schreibt gegen den drögen Realismus der modernen Literatur an, und in der Tat besteht das Realistische seiner Literatur darin, das Grausame in seine Texte einfließen zu lassen, wobei sie plausible Beschreibungen des Innen und des Außen seiner Figuren auch ins Fantastische verlängern. Er erklärt uns eine Welt, in der sich die Bedeutung der Wirklichkeit nicht an der Oberfläche erschließt. Der Leser muss sich selber von der Abgründigkeit überzeugen.

Weiterführend → Lesen Sie auch zum Zyklus Kritische Körper den Essay von Holger Benkel.

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