Den Tod überlisten

 

Rudnikow bedeutet wörtlich Erzbergwerker, abgeleitet von russisch=Erzgrube, Grube, Bergwerk, rudâ=Erz und schelésnaja rudâ=Eisenerz. Die tschechische Stadt Zelesna ruda heißt deutsch Eisenstein. Rudâ assoziiert rot, tschechisch rudý=rot, blutrot, rudka=Rötel, rudoch=Indianer, polnisch rudy=rothaarig. Gornorabotschi, gornjak und schachtjor sind die russischen Worte für Bergarbeiter, Kumpel.

Bezeichnet Bergmann indes den Bergbewohner, dann ist das passende Wort górez oder górezow oder góreznikow.

Was bin ich, fragte sich Rudnikow immer wieder, Rudnikow oder Góreznikow, bin ich nicht beides, mal Rudnikow, mal Góreznikow? Entscheide dich!

Die Goralen sind ein polnischer Bergstamm. In der Altmark gibt es zwei benachbarte Dörfer namens Gohre und Dahlen, also Berg und Tal. Russisch gorbatschka heißt Brotkanten und polnisch garbus Käfer, beide wegen ihrer gewölbten Form, russisch gorbatyi= gebogen, krumm. Zur selben Wortwurzel gehören russisch gorod=Stadt, davon abgeleitet wird grad, tschechisch hradit=einzäunen, umzäunen, hrad=Burg, Schloss, hradschin, hradec, etwa bei Hradec kralove, deutsch Garten, Hort, horten, gotisch garda=Hürde, gards=Haus, Familie, Hof, altnordisch gavor=Zaun, Hof, Garten, griechisch chórtos=eingehegter Platz, Hof, Weideplatz, lateinisch hortus=Garten als eingezäunter Ort, Park, cohors=umzäunter Ort, Gehege, Viehraum, Viehhof, daher stammt Kohorte. Der Zusammenhang zwischen Berg, Hof, Burg und Stadt entstand wahrscheinlich aus der Bevorzugung erhöhter Plätze beim Errichten der Wohnstätten.

Gut, sagte Rudnikow. Ich weiß nun, wo ich wohne. Aber ich arbeite doch lieber im Berg, haue und rolle die Steine aus den Stollen meiner Seele zu Tal, und schütte mein Erz in die Schmelztiegel.

 

 

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Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006

Ulrich Bergmann bezeichnet den Zyklus Kritische Körper als ‚Criminal Phantasy’. Der Leser findet in diesen Kurzgeschichten eine für diesen Autor typische Montagetechnik, unterstützt durch einen imagistischen Bildgebrauch und die Verwendung extremer Bilder. Von der Figurenzeichnung bis zum Handlungsablauf ist jederzeit klar, wie in diesem Zyklus die moralischen Grenzen verlaufen. Bergmann schreibt gegen den drögen Realismus der modernen Literatur an, und in der Tat besteht das Realistische seiner Literatur darin, das Grausame in seine Texte einfließen zu lassen, wobei sie plausible Beschreibungen des Innen und des Außen seiner Figuren auch ins Fantastische verlängern. Er erklärt uns eine Welt, in der sich die Bedeutung der Wirklichkeit nicht an der Oberfläche erschließt. Der Leser muss sich selber von der Abgründigkeit überzeugen.

Weiterführend → Lesenswert zum Zyklus Kritische Körper der Essay von Holger Benkel. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO auch zu den Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel.