An der Saale

 

Goldene Drift im herbstlichen Gleichklang der Schritte:
Sonst legt Stille dich fest: an den verlassenen Rändern
Des Flusses, wo dich das Ufergras einschnürt.
Düster und baumlos sind unsere Träume, aber hier
Stehen sie noch, geduckte Gefährten, groß und
Spröde vor Mitschweigsamkeit. Seltsames Warten
Unter gelben, orangefarbenen Himmeln, ferner,
Als daß man es ahnt, die Lichter der Menschen,
Die da im Götterzorn leben und es die Göttlichkeit
Nennen: Halle Landsberg Wettin: versinkende Städte,
Oder schon der Vertrocknung anheim … ihrer
Bewohner, in Straßen, gepflastert mit Bärenkalotten.
Aber hier, hier bist du getröstet, hier ruht der
Zauber noch aus, ohne Statistik, und die Geister
Der Alten, in der Luft und den Bäumen, nicken
Besänftigt und beschützen den Blick, der ihnen im
Augennass treibt. Du zeichnest in die Iris den Spiegel;
Dich selbst, einen Baum, zeichnest du ein und die
Läufe des Flusses, der sich durch dich und die Alten
Hindurch teilt. Du siehst, vor deinem orangefarbenen
Himmel, die Geister der Ahnen, schwach ihre Konturen
Im Halblicht wie Rauch; und sie tanzen und singen
Und lächeln dich an; Moustérien-Steine klacken,
Handspitzen Schaber; der Gestirn-Ocker schreit, der
Himmel fängt Feuer … und du sitzt und schweigst
Und vereinst dich mit den Göttern, solange die
Menschen ihren krummen Geschäften nachgehn.
Aber der Fluß ist das Bett und die Rückkehr: dort
Wollen wir hin; und du zeichnest auf den Spiegel des
Flusses die Augen der Geister, eine seltsame
Heimstatt, in der sich die Schatten der Ahnen ver-
Doppelt sehn mit sich selbst. Du malst auf die Augen
Der Ahnen die Augen des Spiegels des Flusses,
Und du selbst bist gespiegelt darin, ein Baum: ein
Facettiertes, getuschtes, pastelliertes Aufleuchten der
Zweige, in denen die Augen der Ahnen nun wohnen,
Ein fröhlicher Tanz entlaubter Kristalle. Die Augen
Der Geister gemalt gezeichnet in Luft und auf den
Spiegel des Flusses, Äste darin, orangefarbene Himmel
Über versinkenden Städten: Halle Wettin auf der
Höhe, Landsberg lange schon flußlos, auf verlorenem
Posten. Du sitzt in den Augen der Geister des Flusses
Und malst deine Augen in den Spiegel der Augen
Des Flusses; dich sehen die Ahnen jetzt an, ihre
Schlagschatten im Halblicht, und durch das alles
Walzt gemächlich der Strom, bereit, das Land zu
Verschlingen, die ferneren Städte, das Augenauf-
Schlagen der Geister, in dem du dich spiegelst; und wie
Götter sich spiegeln im liquor ihrer zukünftigen Blicke.
Und während du sitzt, gehen die Schritte dir nach,
Auf denen du herkamst, und ich lehne, der Hauch eines
Geistes vielleicht, auf deiner Schulter, und sehe unser
Sich verzweigendes Bild in den Augen des Flusses.

 

 

 

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André Schinkel, porträtiert von Jürgen Bauer

Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.

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