Teepause

 

Kautsky fehlten die Worte, als die Frau, die er liebte, sich nach vorn beugte. Sie nahm die Tasse, setzte sie an die rot schimmernden Eislippen, trank die Hitze in einem Zug aus und stellte das dünne Porzellan mit wegwerfender Hand zurück auf den Teller. „Was Sie da machen, lieber Freund“, bemerkte sie trocken, „ist zum Scheitern verurteilt.“ Sie hielt inne wie jemand, der noch etwas sagen wollte, aber sie schwieg bedeutungsvoll und der Angesprochene schwieg mit. Dass sie alles ablehnen würde, was er plante, war ihm klar. Er schaute zu ihr, sie schaute zu ihm, aber sie schaute durch ihn hindurch, denn sie hatte ihm wirklich nichts zu sagen. Kautsky hörte den Nachhall der letzten Worte, die in seinem Herzen viel lauter klangen als in der wirklichen Stille. Ich muss den Lärm dieser Worte übertönen, dachte er. „Man hat als Einzelner… “, rief er, als sie sofort: „Glauben Sie, dass das das Schlimmste wäre?“ einwarf, „… keine Chance!“

Der Kellner stellte mitten in die Worte den Tee auf den Tisch. Sie setzte ihn an den rot funkelnden Eismund und saugte langsam das Feuer mit spitzen Lippen heraus. Sie hielt die Tasse so, dass sie ihrem Gegenüber unentwegt in die Augen starrte. Kautsky hielt ihren Blick nicht aus, seine Augen verschluckten sich und fielen in die hängenden Gärten – sie spreizte ihre heißen Finger, die Tasse schwebte, sie fiel – der Kellner fing sie, als die Lava in ihren Schoß schoss, auf, stellte sie auf den Tisch zurück und entfernte sich mit festen Schritten.

„Wo waren wir stehengeblieben?“, fragte sie, und Kautsky, der wieder in ihre Augen gestiegen war, spürte, dass sie keine Antwort erwartete.

 

 

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Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006

Ulrich Bergmann bezeichnet den Zyklus Kritische Körper als ‚Criminal Phantasy’. Der Leser findet in diesen Kurzgeschichten eine für diesen Autor typische Montagetechnik, unterstützt durch einen imagistischen Bildgebrauch und die Verwendung extremer Bilder. Von der Figurenzeichnung bis zum Handlungsablauf ist jederzeit klar, wie in diesem Zyklus die moralischen Grenzen verlaufen. Bergmann schreibt gegen den drögen Realismus der modernen Literatur an, und in der Tat besteht das Realistische seiner Literatur darin, das Grausame in seine Texte einfließen zu lassen, wobei sie plausible Beschreibungen des Innen und des Außen seiner Figuren auch ins Fantastische verlängern. Er erklärt uns eine Welt, in der sich die Bedeutung der Wirklichkeit nicht an der Oberfläche erschließt. Der Leser muss sich selber von der Abgründigkeit überzeugen.

Weiterführend → Lesenswert zum Zyklus Kritische Körper der Essay von Holger Benkel. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO auch zu den Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel.