…packen

 

Morgens, ganz früh, wenn der Platz gerade zum Leben erwacht, die ersten Camper dick vermummt irgendwelche Aufräumarbeiten vornehmen, die man sonst nie macht, wahrscheinlich aus Faulheit oder Vergesslichkeit. Wahrscheinlicher noch deshalb, weil man im Tagestrubel nicht darauf achtet. Hier aber muss morgens alles und vor allem immer streng geordnet sein. Das Auto ist der Kleiderschrank. Die Koffer oder Kisten stehen nebeneinander auf der Ladefläche des Kombis oder Kastenwagens. Jeder hat für Ordnung zu sorgen, das erscheint effektiv und wichtig. Einfache Regeln erleichtern dabei das Leben. Unterwäsche wird wie zu Hause einen Tag getragen, dann kommt sie in den Wäschesack, Maschinenfutter. Alle anderen Kleidungsstücke, die gerade im Gebrauch sind, werden auf Sichtschmutz und Geruch überprüft. Oft können sie mehrere Tage getragen werden. Welch ein Unterschied zu Hüttenwanderungen. Da hat man drei Paar Strümpfe und vier Unterhosen, wegen des Gewichts, die werden zwischendurch mal auf der Hütte am Waschbecken gereinigt, per Hand mit Rei aus der Tube. Trocknung nachts draußen vor der Hütte, Resttrocknung während der Wanderung am nächsten Tag, über den Rucksack gehängt. Dauert bei gutem Wetter nicht lange. Ist auch nur mäßig peinlich. Alles andere muss bis zum Ende reichen, vielleicht noch das T-Shirt, das irgendwann Flecken unter den Armen zeigt. Den Geruch sollte man sich besser nicht so sehr ausmalen.

Die Leute vom Nachbarplatz haben Herrn Nipp schon freundlich gegrüßt, während er in seinen Stuhl ausgestreckt da sitzt, das Treiben der Anderen aktiv ignoriert und lieber die Berglandschaft, oberhalb der Fichten bewundert. Diese holländische Familie mit Kind und Hund hat schon damit begonnen, ihre Sachen zu packen. Routiniert wird eine Liste, welche die Frau in ihrer Hand hält, abgearbeitet. Alles wird abgezählt und abgehakt, dann erst kommt es an die vorher festgelegte Stelle ins Auto. Vertraute Geräusche.
Derweil entsteigt eine echt italienische Schönheit, die sich später als eingewanderte Kroatin herausstellt, die in all den Tagen, welche sie am Platz anwesend ist, nicht einmal gelächelt hat, dafür allerdings stets Gespräche per Handy mit irgendwelchen Fotoagenturen führt, ihrem Zwergpalästchen. Nein, sie kommt missmutigen Blicks aus ihrem Biwakzelt geschossen. In der Hand ein Portmonee. Frühstück einkaufen. Wenn es nicht so ein Gemeinplatz wäre, würde man jetzt sagen können, sie wirft mit Blicken um sich, die ganze Familien auslöschen können, vor allem holländische, die morgens um sieben Uhr anfangen, den Wagen zu packen.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.