Vor der Halle

 

Offensichtlich sieht er sich als Alleinunterhalter, vielleicht wurde er auch dazu animiert oder gar engagiert, wer weiß das schon. Er wartet mit all den anderen hochmotivierten Eltern und Großeltern vor der Halle auf das große Probetraining – Kreisauswahl. Da wird ein riesiges Brimborium gemacht. Aufregung auf allen Seiten, die Kinder gehen noch am souveränsten mit der Situation um, kennen die gegenseitigen Schwächen und Stärken aus vergangenen Begegnungen. Zum Teil harte Spiele. Eine Aufnahme ist ein Triumph der Erziehungsberechtigten, definiert sich ihre Stellung im Verein doch über die Leistung der Kinder. Alle stehen schweigsam zusammen, manchmal kreisen Satzteile, ebben sofort wieder ab, trinken einen Pott Kaffe, der innen für einen Euro angeboten wird, saugen gierig an den selbst gestopften Zigaretten, die sonst sorgsam in kleinen Metallschachteln aufbewahrt werden, einige nutzen sogar die Schachteln bekannter Marken, um zu tarnen, dass man stopft.

Nur der Alleinunterhalter, ein gut siebzigjähriger, kantiger Mann mit dem unverwechselbaren Hauch von Speick, da braucht man kein Deo, unterhält sich mit jedem, spricht unverdrossen die Leute an und wenn ein Opfer auch nur vages Interesse an einem Gespräch zeigt, dann ist es verloren. Er erzählt von einem Früher, das längst vergessen ist, nur noch Legende, meist nicht einmal das. Die Zeit der späten sechziger, frühen siebziger Jahre, als es den Vereinen noch gut ging, als noch echte Jugendförderung gemacht wurde. Als Handball noch wichtig war, ja, auch den Politikern, denn Handball sei nur etwas für die intelligenten Kinder. Er erzählt aus einer Zeit, als er noch für damalige Fußballstars aus Dortmund gebaut habe, alles Namen, die die vierzigjährigen Anwesenden nie gehört haben. „Alles gute Jungs, haben sich Bars in ihre Keller einbauen lassen, die größer waren als hiesige Dorfkneipen. Und haben immer mal zwei Kisten Bier raus getan, für die Bauarbeiter. Die konnten noch mittrinken, nicht so lasch.“ Die Zeit verklärt bekanntlich die Erlebnisse. Eigentlich interessiert es keinen, aber das ist egal, der Mann lockert die gespannte Atmosphäre auf.

Plötzlich entsteht Bewegung in der Gruppe und innerhalb weniger Sekunden sind alle in der Halle verschwunden. Training beginnt, jetzt zählt es. Anderthalb Stunden entscheiden über den gefühlten Sieg, die real erlebte Niederlage.

 

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421