Unwetterwarnung


Das Kräuseln deiner Stirne

Am Morgen ist mein innerer

Gottesbeweis: hinter den

Schmalen Tälern der

Haut, in den Abgründen des

Selbst regt sich, was wir

Nicht begreifen. Du verhandelst im Schlaf

Schon mit mir – ich solle,

Sagst du, mich um die

Wirklichkeit kümmern:

Das würdest du, tagsüber,

Nie tun. Oder gerade.

Aber dafür liebe ich dich –

Du kommst mir im

Schlaf mit der Wahrheit,

Und du könntest, wenn

Ich nicht erwache,

Denkt mir, mich augen-

Blicklich verlassen. Also beobachte

Ich dich, liege nächtelang

Neben dir wach und

Registriere die Zeichen

Deiner Entfernung von

Mir, bin froh jeden Morgen,

An dem du zurückkommst.

Manchmal auch rührt
Mich das Lachen der Andern,
Der Aufschlag ihrer
Herrlichen Augen; und
Deine Wut, wenn du es
Erfährst, bohrt sich zweifelnd und
Falb in mein Herz. Dabei
Würde ich dich niemals
Verlassen – alles, was ich
Dort finde, vergleicht
Sich mit dir, findet sich wieder oder
Spiegelt auch nur deinen Duft.

Das Schwellen deiner Lippen
Im Zorn ist ein abstrakter
Teil meiner Begierde:
Deinem Haß ausgesetzt, be-
Greife ich endlich,
Was mir fehlte an dir.
Indessen der Sturm
Meiner Liebe eine wetterwendische
Lilie: wer ihn nicht
Immerfort prüfte, – auf die
Kraft seiner Böen, wer
Ahnte um die stille Bejahung
Im Zentrum, im Nichts.

Abgöttisch und fallsüchtig
Ist meine Liebe zu dir;
In den Sturzblüten anderer
Frauen reift immer
Dein Bild, treibt mich
Eisern an deine Seite zurück.
Wenn ich fortwollte
Von dir, für einen Schluck
Luft oder nur, um
Die Blumen zu gießen –
Gleich gingen in uns
Die sanften Unwetter los.

Das sind die schrecklichsten,
Sag‘ ich: wir verletzen
Uns, blind vor unbändiger
Liebe, reden verzweifelt
Die Nächte entzwei,
Jeder im Kopf die Blicke
Der Andern … Und bringen
Die Jahre, die wir sind,
Erkenntnislos zu, schwelgen
Im sekundigen Blitz der
Erleuchtung; und in den
Nächten kräuselt der Schlaf
Dir heimlich die Stirn,

Und macht mir den
Schweigenden Vorwurf,
Deine Schönheit
Nicht genug zu besingen,
Während du schläfst
Und dich um etwas anderes
Kümmerst als mich, meine
Karge Verruchtheit.
Zart dein stoßweiser Atem,
Unmerklich und zart; –
Die Hand, die dein schlafendes
Kinn birgt, schätzenswert
Schön – weil sich dein
Duftender Leib in ihr spiegelt,
Von mir unverdient.

Die Trompeten der hinter-
Gangenen Liebe im
Ohr, reißt der Wind beherzt
An den Gitarren; –
Du regst dich, die Sonne
Geht auf, im meinem
Kopf singt einer: On The Turning Away.
Dieses Gebirg‘ ist meine
Festung, sag‘ ich, und ich reite,
Ein Ritter im goldnen Ornat,
Vor unserem Bett auf
Und ab – es ist die schönste, weiß ich,
Sache, die mir vergönnt ist.

 

 

 

 

André Schinkel, porträtiert von Jürgen Bauer

Weiterführend →

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