Waldgänger

Zur Eigenart unserer Zeit
gehört die Verknüpfung bedeutender Auftritte mit unbedeutenden Darstellern.

Der Waldgang ist ein 1951 erschienener Essay von Ernst Jünger. Darin geht es um die Frage:

Wie verhält sich der Mensch angesichts und innerhalb der Katastrophe?

Als Waldgänger beschreibt Jünger einen Menschen, der sich gedanklich unabhängig hält von der umgebenden Gesellschaft und zum Widerstand fähig ist, falls der jeweilige Staat ein verbrecherischer ist oder wird.

Thea Dorn verwies darauf, dass Jüngers Bild vom Waldgänger seine Wurzeln im Mythos vom Deutschen Wald habe; das Buch enthalte die „radikalste Verknüpfung von Wald und Freiheit“ in der deutschen Literatur. Der Waldgänger sei ein „ebenso elitärer wie solitärer Partisan, der sich gegen die Befehle der verwalteten Welt auflehnt“. Ebenfalls aus dem Mythischen und Märchenhaften heraus entwickle Jünger einen zentralen Gedanken, „der allemal wert ist, nicht vergessen zu werden – der Gedanke, dass der Wald der Ort ist, an dem jeder mit seinen Urängsten konfrontiert wird.“

Golo Mann, der Jüngers Arbeiter von Grund auf abgelehnt hatte, schrieb kurz nach Erscheinen des Waldgangs an den Autor:

Es ist ein schönes Buch voll tiefer, wahrer Einblicke und sehr schöner Formulierungen […] Dabei zeigen gewisse Seiten des Waldganges, dass der Autor politisch recht wohl und zutiefst Bescheid weiß. Mein Einwand ist dieser: Es gibt einen E. J., der helfen will. Es gibt einen anderen, älteren E. J., der schauen will, der ästhetisiert: Und von diesem, dem Autor des Arbeiters, ist noch etwas im Waldgang: […] Und es scheint mir, dass ihr neueres Werk ohne diese Kategorien auskäme.

Auch als Ausdruck von Jüngers Distanzierung von der Politik überhaupt wurde das Buch verstanden: „Wie sich in den Marmorklippen angedeutet hat, besteht eine entscheidende Lehre, die Jünger aus dem Nationalsozialismus meint ziehen zu können, dass allem konventionell verstandenen und praktizierten Politischen der Rücken zu kehren sei. […] Sein Gegenmodell zu einer politischen Landschaft, in der „alle Positionen gleich nichtig“ und Wahlen entsprechend zur bloßen Farce geworden geraten seien, nimmt die Form eines Appells zur Elitenbildung an.

Den Ursprung des im Waldgang geschichtsphilosophisch ausgearbeiteten Konzepts einer Verhaltenslehre in der nihilistischen Moderne verortet Niels Penke in der gleichnamigen Form der Verbannung, wie sie im altnordischen Rechtssystem beschrieben wird. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie Jüngers Rollenkonzepte die verschiedenen Genres – Tagebuch, Essay, Prosa – leitmotivisch durchziehen. KUNO schätzt den Essay Der Waldgang, als eine Art Widerstandsfibel gegen Totalitarismus und Anpassung. Die Demokratie ist ein Versprechen, das sich seiner Unerfüllbarkeit bewußt ist. Der Impuls zu einem Prozess, der nie an ein Ende kommt. Wer, wie Ernst Jünger, die perfekte Staatsform sucht, den enttäuscht die Demokratie zwangsläufig. Sie bietet keine fertigen Lösungen, die für immer gültig wären, sondern muss jeden Tag neu errungen werden. Demokratie ist das, was wir aus ihr machen. Darin liegt ihre Verletzlichkeit. Aber auch ihre Stärke.

 

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Der Waldgang. Essay von Ernst Jünger, Klostermann, Frankfurt am Main 1951.

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Wir begreifen den Essay auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.