Europäisierung der Kultur/Literatur

 

Was bedeutet dieses Schlagwort „Europäisierung“ für den Bereich der Kultur und hier eingeschränkt für die Literatur? Welche Möglichkeiten und Chancen gibt es zur Zusammenarbeit auf internationaler, europäischer Ebene zwischen Schriftstellern, ihren Organisationen, den Interessensverbänden, den Verlegern, den Verlagskonzernen, dem Buchmarkt, dem Staat, seinen Einrichtungen; wiederum gesehen auf der legistischen, gesellschaftlichen, existentiellen Ebene? Wie greifen diese Bereiche ineinander, wie und wo gibt es da Gegensätze, welche Möglichkeiten der Interessensharmonisierung gibt es, welche können wir nutzen; wie ist das Reglement für Regelungen? Wie ist der Istzustand, was wollen wir Schriftsteller erreichen, wo sehen wir Gefahren (vorallem existentiell für uns selber), welche Perspektiven gibt es überhaupt; wie sehen wir diese? Das alles sind Fragen, die einen weiten Horizont abstecken, zur Auseinandersetzung aufrufen, der wir nicht ausweichen können. Die Bedingungen, unter denen wir stehen, arbeiten, publizieren, sind relevant für uns, auch wenn natürlich klar ist, daß bessere Bedingungen nicht bessere Literatur erzeugen. Umgekehrt aber gilt auch: Bessere Bedingungen für die Kultur, für die Literatur, für die Schriftsteller eines Landes haben mit jenem Stellenwert zu tun, den Staat, Politik und Gesellschaft der Kultur, der Kunst, der Literatur einräumen.

Konkret bedeutet das insbesondere, daß der rechtliche, soziale und existentielle Status von Kulturschaffenden in einem Land und im Staat – und nun immer mehr auch auf europäischer Ebene – neu definiert werden muß; und dies nicht nur von der Politik oder vom Markt allein und einseitig, sondern partnerschaftlich, wenn man hier nicht von vornherein programmierte Gegensätzlichkeit und Konfliktsituationen haben will. Der Staat und die Politik müssen sich ihrer Aufgabenstellung, Rahmenbedingungen für die ungehinderte, ja notwendigerweise auch zu fördernde Entfaltung der Kultur zu schaffen und zu sichern, bewußt sein und diese Aufgabenstellung als eine gesellschafts- und kulturpolitische akzeptieren.

Der Markt muß beharrlich daran erinnert werden, daß Aktienkapital und Indexsteigerung nicht alles sind, kein Lebenswert an sich. Ich weiß, daß es utopisch ist, sich davon positive Ergebnisse zu versprechen; vielleicht muß man diese Aussage so verpacken, daß man die Wirtschaft und den freien Markt daran erinnert, daß sie auch nicht existieren, jedenfalls nicht prosperieren können, wenn sie sich gegen den Wertekonsens einer Kulturgesellschaft wenden und mit dem Ziel der Profitmaximierung aggressiv dagegen vorgehen. Dies stellt aber an uns Kulturschaffende und an die verantwortlichen Politiker und Institutionen die Forderung und verlangt die Verantwortung darüber ab, diesen Wertekonsens zu definieren und in der Kulturpolitik in Realität umzusetzen.

Konkret auf die Literatur und die Interessen der SchriftstellerInnen angewandt, ergeben sich Forderungen nach gerechten gesetzlichen und pragmatischen Regelungen, sowohl im eigenen Land, als auch auf EU-Ebene; denn der Markt ist längst internationalisiert, und die Konzerne (z.B. Libro-Amadeus) dominieren das Verlags- und Buchhandelswesen. Der Druck, den sie ausüben (Aufhebung der Buchpreisbindung in der EU) dient ihren Interessen und nicht dem gewünschten Pluralismus in der Welt des Buches und der Kultur. Sie definieren die Vorgaben, wie der Markt zu funktionieren hat. Und das sind somit auch Vorgaben dafür, welche Literatur es gibt und geben soll, nämlich jene, die nach kommerziellen Gesichtspunkten leicht handhabbar, leicht verwertbar ist, an der man leicht und schnell „sein(?) gutes Geld“ machen kann. Und das muß eben nicht unbedingt mit guter Literatur geschehen, sondern geschieht meist mit Massenware für die Massengesellschaft; bestenfalls mit Bestsellerliteratur.

Ob bei solchen Marktbedingungen und in der (be)herrschenden Mediengesellschaft dann noch Kleinauflagen für DichterInnen, für AutorInnen von regionaler Bedeutung oder von Übersetzungen aus Literaturen kleinerer und/oder unbekannterer Länder möglich sein werden, das darf wohl bezweifelt werden. Auf jeden Fall wird dies nicht möglich sein ohne entsprechende Förderung eines solchen Literaturprogrammes durch staatliche Einrichtungen und Institutionen, die sich dieser Aufgabe annehmen. Also muß in diesem Zusammenhang die Frage des Förderwesens – sowohl die des staatlichen als auch die des privaten – diskutiert, kritisch bedacht und einer Regelung zugeführt werden. Es geht beim Förderwesen vorallem um Maßnahmen zur Marktregulierung, ebenso um solche in bezug auf Rechtsverhältnisse, die sicherstellen sollen, daß Literatur als Literatur überhaupt existieren und fortbestehen kann, indem man die ungleichen Zugänge zum Markt durch ein sinnvolles Förderwesen ausgleicht.

Vorallem aber geht es immer mehr um die ökonomische, d.h. um die existentielle Position des Schriftstellers, der Schriftstellerin, die zunehmend gefährdet erscheint, ja gefährdet ist. Dies sowohl durch geänderte Marktbedingungen, aber auch durch gesellschaftspolitische Umstrukturierungen. Wie kann heute ein Schriftsteller, eine Schriftstellerin, die keine Bestsellerautoren sind, überhaupt noch bestehen, es (sich) leisten, Literatur zu machen, ein freier Schriftsteller, eine freieSchriftstellerin zu sein? Besteht überhaupt noch die Möglichkeit dazu?

Um nicht alleine unterzugehen, ist es sicherlich lebensnotwendig, daß wir unsere Interessen gemeinsam suchen, definieren und gebündelt der Öffentlichkeit als legitime Ansprüche übermitteln; dies auch unter einem demokratiepolitischen Aspekt. Wir müssen dem Staat, der Politik, der Gesellschaft eindringlich vor Augen führen, daß Literatur auch etwas mit Bildung zu tun hat, also auch bildungspolitische Ziele hier vorgegeben und erreicht werden müssen. Das muß doch im Interesse des Staates und der gesellschaftsbildenden Kräfte liegen. Denn sonst enden wir in einer bilderüberfluteten, analphabetischen Easy-Eventkultur ohne Reflexion, in einer bereits merkbaren Entintellektualisierung, deren Ursache der moderne, oft auch schon aggressive Zeitgeist ist. Wo wäre da der Sinn und was hätte das für einen Sinn?

Es geht also um die Neuorganisation von Verhältnissen, auch um die Selbstorganisation derer, die Literatur machen; vielleicht in einer noch möglichen Solidarität mit denen, die Literatur noch lesen und brauchen. Über die einzelnen AutorInnenverbände hinaus muß eine umfassendere, eben europäische Interessens- und Rechtsvertretung für SchriftstellerInnen organisiert werden, die als Ansprechpartner und Verhandlungspartner zugleich untereinander und auch auf der EU-Ebene fungieren soll. Eine solche Organisation gibt es bereits: Den EWC-European Writers Congress in München. Immer wichtiger und bedeutender werden auf allen gesellschaftlichen Ebenen die „Non-Govenment-Organisations“. Auch für uns Schriftsteller wird es immer wichtiger, diese Möglichkeiten zu nutzen. Auch wir müssen uns enger und kommunikativer zusammenschließen: zum Informationsaustausch, um gemeinsam und erfolgreich unsere Interessen zu vertreten, um unsere Rechte besser und effizienter wahrnehmen und durchsetzen zu können. Dies auch mit der Zielsetzung einer größeren Unabhängigkeit von Abhängigkeiten: von Subventionsgebern, von der Politik, vom Staat. Wir dürfen nicht länger Bittsteller sein, nicht länger in dieser unwürdigen, aber auch unsicheren und angreifbaren Position verharren. Wir dürfen uns auch nicht vom Freien Markt völlig an die Wand drängen lassen. Wir brauchen dabei Unterstützung.

Und so wendet sich unser Appell für die Sache der Literatur an alle, die nicht nur eine Computertastatur und die TV-Fernbedienung (ge)brauchen, sondern die noch immer regelmäßig nach einem Buch greifen und die auch in Zukunft aus einem vielfältigen Angebot auswählen und selbst entscheiden wollen, was sie lesen; und für die Literatur nach wie vor ein lebenswichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der kulturellen Identität ist.

 

 

 

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Wiplinger Peter Paul, Porträt von Annemarie Susanne

Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.