Welttag der Stimme

Der Welttag der Stimme ist eine weltweite jährliche Veranstaltung, die zur Feier des Phänomens der Stimme stattfindet. Ziel ist es, die enorme Bedeutung der Stimme in unserem alltäglichen Leben aufzuzeigen, als ein Werkzeug der Kommunikation und zur Anwendung einer Vielzahl von Wissenschaften wie z. B. der Physik, Psychologie, Phonetik, Kunst und Biologie. Der Tag wird von heute an als eine gemeinsame Anstrengung von amerikanischen und europäischen HNO-Ärzte sowie Logopäden, insbesondere der Amerikanische Akademie für HNO-Heilkunde – Kopf-und Hals-Chirurgie und Dr. Mario André in Portugal eingeleitet.

Die Logopädin und Schauspielerin Marion Haberstroh führt uns vor, daß Literatur Mundwerk im buchstäblichen Sinn ist: Sie entsteht im Rachenraum. Da zischt und schnattert, da hämmert’s und gurgelt es. Unangestrengt schafft sie gesprochene Sprachkunstwerke. Der Sound einer Stimme erzeugt eine Stimmung. Der mündliche Vortrag schafft mit der spezifischen Atmosphäre auch eine Auslegung des Gesagten, eine Interpretationshilfe. Die Stimme ist authentischer als die Schrift und das Hören ursprünglicher als das Lesen. Hörbücher fordern Zu-Hörer im emphatischen Sinn des Wortes: sensibel für stimmliche Nuancen, für Tonfall, Rhythmus, Modulation und Sprache. Ernst und Ironie verbindet sich auf der CD-Ohryeure hintergründig spielerisch. Wir, die Spätalphabeten, stehen insgesamt vor der Frage, ob Literatur, dieses Medium der Vorzeit, an der Alphabetisierung der Medienkultur, die nur wirklich beeinflussen kann, wer ihr voraus ist, mitwirken oder sich von letzterer abgrenzen kann.

Als ein Kunstwerk eigenen Ranges verstärkt das Hörbuch die Reize des Auditiven und Oralen, mit diesem Medium kehrt die Literatur zu ihrem Ursprung zurück. Dies ist eine Gegenbewegung zu einer mit Bildern überreich gesättigten Kultur. Nach Friedrich Kittler entsteht deutsche Dichtung über neue Alphabetisierungs- und Literarisierungspraktiken, die zum Verschwinden der Materialität der Signifikanten und zur Oralisierung der Buchstaben führen. Dichtung, auf diese Weise zum Universalmedium avanciert, das Sprache, Bilder und Töne gleichermassen speichert, überträgt und verarbeitet, zerfällt mit der Ausdifferenzierung der Medien in Foto-, Fono- und Telegrafie und Internet, die jedem einzelnen Sinn sein analoges Medium zuordnen, und damit in Literatur, deren Buchstäblichkeit Material von Dekonstruktion und von Psychophysik wird. Die neuen akustischen Medien fordern die Literatur vor allem dadurch heraus, dass sie den scheinbar direkten Zusammenhang von Sprechen und Hören aufbrechen. Der ursprüngliche Laut und seine technische Reproduktion sind genauso räumlich und zeitlich getrennt wie Stimme und Ohr. Die Mündlichkeit des Erzählens knüpfen an Zeiten an, als dichterische Vorträge noch mit einer Aufführungspraxis verknüpft waren, die Barden haben ein sediertes Comeback vor sich.

 

***

Weiterführend

Die Verwandtschaft zwischen Stimmungen und der Stimme ging hier ein Artikel von Joanna Lisiak voraus. In diesem Zusammenhang sei auch auf einen einen Essay über das Hören verwiesen.