Die Formen der Märchen aus dem „Land der Morgenstille“ sind mannigfaltig und überreich an Varianten. Eine eindeutige Gattungstrennung nach Märchen, Fabeln, Legenden, Sagen oder Mythen ist kaum möglich. Sehr häufig enthalten die Märchentexte ein bestimmtes Vorbild, eine Lehre oder eine Moral. Sie wurzeln in der Tradition, sind an der Natur ausgerichtet und nach bestimmten Grundsätzen allgemeiner Lebensweisheit aufgebaut, die auf mündliche Weise von Generation zu Generation weitergegeben werden. Der koreanischen Tradition nach beginnt ein Märchen meistens mit den magischen Formeln „Es war einmal, als der Tiger noch Pfeife rauchte …“ oder „Es war einmal vor langer Zeit …“ und endet häufig mit dem Schlußsatz „So lebten sie glücklich und zufrieden und sind erst vorgestern gestorben“. Die Märchen sind nicht nur erd-, sondern auch wasser-, feuer- und himmelsverbunden, was auf die bedeutenden Einflüsse der taoistischen Naturphilosophie verweist. In zahlreichen Märchen tauchen Götter, Geister, Prinzessinnen und Prinzen auf; sie erscheinen oft auf wundersame Weise und bringen eine Lösung für unlösbar erscheinende Probleme. Im Gegensatz zu chinesischen und japanischen Märchen treten häufig Tiger auf. Ein weiteres wichtiges Motiv vieler Märchen ist die besondere Rolle des Sohnes, der meist als Stammhalter der Familie oder als Ernährer der alten Eltern erscheint. Auch Witz, Humor und Überlebenswille sind auffällig oft in den Märchentexten erkennbar. „Der Himmelsprinz und die Bärin“ versucht, eine möglichst vielseitige Auswahl von Märchen aus allen Teilen der koreanischen Halbinsel zu präsentieren und dem Leser somit einen ersten Einblick in die Überlieferungen eines in Europa immer noch wenig bekannten Volkes zu geben.
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Der Himmelsprinz und die Bärin: Koreanische Märchen, übersetzt von Woon-Jung Chei, 1998
KUNO empfiehlt die Übersetzung des Lyrikbandes Die Sterne über dem Land der Väter von Ko Un.
Die Laudatio der Hungertuchpreisträgerin Woon-Jung Chei befindet sich hier.
Ein Recap des Hungertuchpreises.