Im Spiralnebel der Gutenberggalaxis

 

WEIGONI: Im Gegensatz zu den anderen AutorInnen in der Reihe Kollegengespräche legst du keinen Wert darauf, mit deinem wirklichen Namen aufzutauchen…
GRAF-X: Das kommt noch aus der Zeit, in der ich als Sprayer unterwegs war. Es reicht, wenn sich meine Arbeiten, wo auch immer, aufgrund ihrer Qualität behaupten. Egal ob es S-Bahnen sind, die als fahrende Galerien durch die Gegend tuckern oder Icons, die als U-Boote im Netz abtauchen, wichtig ist allein das, was man tut. Unter welchem Namen auch immer. Im World Wide Web bist du Teil einer Idee und dieses Forum sagt dir, wie es sich entwickeln will und wie du bei Linux siehst, wird Software mittlerweile gemeinsam entwickelt.
WEIGONI: Wie kommt man überhaupt ins Netz?
GRAF-X: Am besten zum Ortstarif über einen lokalen oder (über)regionalen Provider (Internet-Anbieter) direkt ins Netz oder über einen der grossen Online-Dienste.
WEIGONI: Was macht eine Internet-Präsenz für einen Schriftsteller sinnvoll?
GRAF-X: Die Zeiten, in denen neben Universitäten ausschliesslich grosse Unternehmen aus Prestigegründen im Internet vertreten waren, sind längst vorbei. Aus kommerzieller Sicht hat sich das Internet durch die schnell steigende Anbieter und Benutzerzahl zu einem durchaus ernstzunehmenden Medium entwickelt. Die praktischen Vorteile durch eine Intenet-Präsenz liegen heute für Unternehmen in zahlreichen Branchen auf der Hand. Im Vergleich zu farbigen Katalogen, kostspieligen Anzeigen und anderen Medien halten sich die Kosten durchaus in Grenzen. Bereits für den Preis einer einmaligen überregionalen Zeitschriftenannonce kann man ein ganzes Jahr lang im Internet werben. Durch die interaktiven Möglichkeiten entsteht ein Dialog zwischen dem Benutzer und ihrem Informationsangebot. Der oft benutzte Marketingausdruck Kommunikation erhält im Internet einen ganz neuen Sinn. Durch die ständige, weltweite Verfügbarkeit der Informationen kann man einen Service bieten, der sonst gar nicht möglich wäre. Mit zunehmenden Benutzerzahlen spart man Zeit und Geld, etwa für das Versenden von Manuskripten und die Beantwortung von Fragen. Nicht zuletzt signalisiert eine World Wide Web-Adresse Innovationsfreude und zukunftsorientiertes Denken, und dies bleibt auch den Kunden nicht verborgen.
WEIGONI: Wer benutzt das Internet überhaupt?
GRAF-X: Zahlreiche Statistiken belegen, dass im Internet durchaus interessante Zielgruppen zu finden sind: Die meisten Benutzer sind Akademiker und oder haben ein überdurchschnittliches Einkommen. Das Durchschnittsalter liegt in Europa bei etwa 29 Jahren, in den USA bei 34 Jahren. Bei Umfragen geben die meisten Personen an, dass sie Internetseiten gezielt anwählen und aufmerksam lesen, anstatt sich berieseln zu lassen.
WEIGONI: Mal angenommen, man möchte Literatur im Internet verkaufen. Mit welchem Erfolg kann ich rechnen?
GRAF-X: Einige Unternehmen verkaufen ausschliesslich im Internet und sind damit äusserst erfolgreich. Eine Internet-Präsenz ist für die meisten Branchen eher ein Baustein im Gesamtmarketing. Dass dieses Puzzlestück bereits heute eine grosse Bedeutung haben kann, ist allerdings nicht zu leugnen. Kleine, innovative Unternehmen mit einem spezialisierten Angebot haben im Internet mit geringem Aufwand grosse Erfolge erzielen können. Angesichts der vergleichsweise geringen Kosten ergibt sich in jedem Fall die Möglichkeit, den Erfolg eines World Wide Web-Angebotes zu testen, ohne grosse Risiken einzugehen.
WEIGONI: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen um Internet-Seiten zu veröffentlichen?
GRAF-X: Wenn Internet-Präsenz im Full-Service realisiert wird, braucht man eigentlich nicht einmal einen Computer, denn das gesamte Informationsangebot wird zusammengestellt und auf externen Servern ins Internet eingebunden. Nützlich ist jedoch ein Computer mit einem Internet bzw. E-Mail-Anschluss, damit man Anfragen oder Bestellungen direkt empfangen können.
WEIGONI: Wodurch werden Internet-Benutzer auf Angebote aufmerksam?
GRAF-X: Bei den unzähligen Internet-Seiten wird wohl niemand von alleine auf deine Seiten stossen. Selbstverständlich sollte das Informationsangebot in den Internet-Suchmaschinen und Verzeichnissen eingetragen sein und darüber hinaus sollte die World Wide Web-Adresse gegebenenfalls auch auf den Briefbögen, der Visitenkarte und anderen Medien bekanntgeben werden.
WEIGONI: Welche Art von Vorlagen werden für die World Wide Web-Seiten benötigt?
GRAF-X: Sehr effektiv kann man mit Daten in gängigen PC-Formaten arbeiten.
WEIGONI: Welche Kosten entstehen, wenn Seiten geändert werden sollen?
GRAF-X: Im Gegensatz zu Gedrucktem entstehen keinerlei Materialkosten, so dass nur geringe Kosten für anfallende Arbeitszeit entstehen.
WEIGONI: Wie schnell können Seiten aktualisiert und ergänzt werden?
GRAF-X: Sobald die Informationen eintreffen, kann man sich an die Arbeit machen.
WEIGONI: Was muss man tun, um eine Domain registrieren zu lassen und einen Internet-Server zu betreiben?
GRAF-X: Da Internet-Adressen durch Provider bei den Vergabestellen registriert werden, kann man einfach seine Wünsche mitteilen. Dies gilt ebenfalls für den Betrieb eines virtuellen Servers.
WEIGONI: Was sind virtuelle Server?
GRAF-X: Aufgrund der hohen Hardware und Standleitungskosten werden mehrere Internet-Server auf einem Computer zusammengefasst. Der einzelne virtuelle Server ist ein Computerprogramm und ein Platz auf der Festplatte eines echten Servers und lässt sich trotzdem mit einer eigenen Domain ansprechen. Von aussen sieht niemand einen Unterschied, weil technisch gesehen auch kein Unterschied zu einem einzelnen Server besteht.
WEIGONI: Was ist Hosting?
GRAF-X: Hosting ist schlicht die Beheimatung eines World Wide Web-Angebotes auf einem Server des Providers. In Zusammenhang mit virtuellen Servern wird oft von Virtual Hosting gesprochen.
WEIGONI: Wie funktionieren die E-Mail-Adressen, die ich mit meiner eigenen Domain erhalte?
GRAF-X: Wenn du eine Domain www.IhrName.de reservierst, erhältst du je nach Provider einige oder beliebig viele E-Mail-Adressen, die abc@IhrName.de lauten. Die E-Mails werden in der Regel auf vorhandene Adressen weitergeleitet, so dass du mit einem normalen T-Online oder Compu-Serve-Account die E-Mails empfangen kannst. Auf Wunsch ist es ebenfalls möglich, die E-Mails mit einem Mailreader direkt vom Server abzuholen.
WEIGONI: Von wem wird der Server gewartet und wer pflegt die Daten auf dem Server?
GRAF-X: Den Server wartet der Provider. In der Regel kommen dabei sehr zuverlässige Unix oder Linux-Rechner zum Einsatz, deren korrekte Funktion von Experten rund um die Uhr überwacht wird. Die Daten werden direkt eingespielt und können jederzeit erweitert oder aktualisiert werden. Durch meine Erfahrungen mit verschiedenen Providern kann ich die Möglichkeiten der Server optimal nutzen, und du benötigst durch den Full-Service keinerlei technische Kenntnisse.
WEIGONI: Wie kann ich die laufenden Serverkosten bestimmen?
GRAF-X: Durch das Prinzip der virtuellen Server halten sich die Kosten in vorher bestimmbaren Grenzen.
WEIGONI: Kann man nachvollziehen, wie die Seiten besucht werden?
GRAF-X: Da der Server jeden Zugriff protokolliert, kann man detaillierte Statistiken erstellen. So lässt sich die Nutzung jeder einzelnen Seite genau auflisten, oder die Herkunft der Besucher ermitteln. Man kann sofort sehen, ob ein Zeitungsinserat oder ein Mailing besonders viele Besucher auf die Webseiten gelockt hat oder welche Seiten nicht so attraktiv zu sein scheinen.
WEIGONI: Was sind Hyper-Links? Was Hypertext?
GRAF-X: Digitale Literatur, die hauptsächlich in Gestalt der Hyperfiktion auftritt. Hyperfiktion meint mit Hilfe von Hypertext-Autorensystemen erstellte Literatur. Im Jahre 1945 ersann der amerikanische Ingenieur Bush eine Maschine namens Memex. Sie sollte auf Myriaden von Microfiches den Buchbestand der Menschheit enthalten. Aus den Bestand dieser Bibliothek sollte nicht nur auf Kataloge zugegriffen werden können, die Dokumente selbst sollten thematisch miteinander verknüpft werden, so dass nach und nach aus der Wissensdatenbank ein einziges Weltdokument würde.
WEIGONI: Deine WWW-Adresse willst du nicht verraten?
GRAF-X: Die meisten Menschen sind blind, sie wissen, was sie sehen wollen, deshalb lasse ich mich lieber durch einen Zufall finden.
WEIGONI: Wenn dieses Kollegengespräch im Druck erscheint, ist es bereits hoffnungslos veraltet.
GRAF-X: Es war nicht meine Idee!
WEIGONI: Der Aspekt war mir wichtig.
GRAF-X: Solange noch genug von dem Perrot-Minot da ist…
WEIGONI: Hast du eigentlich keine Angst vor einer Generation, die in 010100110 und in Ja/Nein-Folgen denkt.
GRAF-X: Sicherlich gibt es Kids, die sich gegenseitig konsumieren und wenn sie sich ausgelutscht haben, suchen sie sich einen neuen Spielpartner, eine neue Party, eine neue Mode, eine neue Musik undsofortadinfinitum… aber die gab’s vor dem Netz auch schon. Die meisten Kids wissen nicht wohin sie wollen, sie sind nur schneller dort. Who cares?
WEIGONI: Zum Schluss eine Prognose!
GRAF-X: Zuerst steht eine neue Generation von Searchbots an, intelligente Agenten, die Verhaltensmuster in den Aktionen der Benutzer beobachten und auswerten; sie programmieren sich selbst. Je häufiger der Anwender einen lernfähigen Bot benutzt, desto besser kann der digitale Diener auf die Gewohnheiten und Wünsche seines Herrn eingehen. Forscher im Bereich der künstlichen Intelligenz setzen darauf, dass Computer von den Millionen Netzsurfern endlich erfahren, wie Menschen denken, um zu lernen, wie Menschen zu denken. Erst wenn uns die Computerprogramme das Denken abnehmen, erscheinen Zweifel angebracht. Ob real-time-writing funktionieren wird, wie Collaborative in die Gänge kommt und ob Hypertext wirklich die Rache der Literatur am TV ist, wird sich noch zeigen, wahrscheinlich schon in den nächsten Tagen.
WEIGONI: Bedanke mich, bis dahin.

 

 

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Weiterführend →

Um den Bücherberg nicht zu vergrössern war dieses Buch als Printing on demand erhältlich. Die digitalisierten Daten konnten  abgerufen und in kleineren Stückzahlen gedruckt werden.
Dieser Band war als bibliophile Vorzugsausgabe erhältlich über den Ventil-Verlag, Mainz.

Aus Recherchegründen hat der vordenker die Kollegengespräche  ins Netz gestellt. Sie können hier abgerufen werden. Die Kulturnotizen (KUNO) haben diese Reihe in loser Folge ab 2011 fortgesetzt.

Einen Essay zu dieser Reihe finden Sie hier.

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