Literatur im Zeichen des Gedenkens, des Mahnens und des Widerstandes

Orte des Gedenkens, Erinnerungsarbeit, Mahnen, Trauer, Ereignisse des Gedenkens, individuelle und kollektive Verdrängung, Widerstand wogegen?

Wo, wann, wie und wessen können, sollen, müssen wir gedenken? Was geschieht dabei mit der Erinnerung, mit uns selber; in Verbindung mit dem, dessen wir gedenken? Wie lange können, müssen wir uns erinnern? Gibt es Zeitlimits für die Aufarbeitung der Ereignisse, der Vergangenheit?

Wer kann, darf, muß mahnen, einmahnen; wen, wozu, wofür? Wer hat das Recht, wer hat die Pflicht dazu? Und wann kann, soll, muß das geschehen? Welche “Rolle” kommt dabei dem Einzelnen, der Gesellschaft, den Institutionen, der Politik, dem Staat, einem Volk zu? Welches Verhältnis besteht zwischen der zeitgeistigen Gegenwartsgeneration und den vergangenen Ereignissen, zwischen den Jungen und den noch Lebenden, die von den Ereignissen betroffenen worden und in denen diese noch immer präsent sind und unter deren Folgen sie lebenslang leiden? Wer hat die Berechtigung, die Verpflichtung und die moralische Autorität, zum Gedenken aufzurufen?

Wogegen, gegen wen und gegen was muß wie und womit wann und wo Widerstand geleistet werden, unter allen Umständen, bedingungslos? Wer darf, wer muß dann wogegen sein und Widerstand leistend auftreten? Wo liegen die Grenzen der Loyalität des Einzelnen zum Staat, zu seinen Institutionen, zu Religionen, zur Gesellschaft, zur eigenen Nationalität? Wann dürfen und müssen diese Grenzen in Frage gestellt und notfalls überschritten werden, im Bewußtsein und in Verpflichtung zur eigenen Verantwortung als Mensch? Wie ist das mit und in einem sogenannten “Rechtsstaat”, in dem auch Unrecht geschehen kann und geschieht? Welche Ziele und Effizienz muß ein Widerstand haben? Wie ist auf staatliche Gewalt zu reagieren? Worin liegt die Solidarität mit den Unterdrückten (Minoritäten)? Was muß man selbst, was müssen die Institutionen, die Regierungen, der Rechtsstaat gegen Geschichtsleugnung (Auschwitzlüge) und Neonazis tun?!

Hat Literatur damit überhaupt etwas zu tun ? Steht sie – wann und wie -in einem, in welchem Kontext dazu; wodurch? Oder ist Literatur ,,frei”, frei wovon, wodurch und warum? Muß sich Literatur und müssen sich Schriftsteller (auch in und mit ihrer Literatur) mit Menschenrechten, Politik, Gewalt, Gesellschaft, Staat, Institutionen beschäftigen? Oder geht das “die Literatur” (wovon sprechen wir da eigentlich, von wem?) nichts an? Ist Literatur vom Schriftsteller, von der Person und seinem Menschsein zu trennen? Kann, soll, muß der Schriftsteller sich politisch, für Gerechtigkeit, für Menschenrechte, für Anliegen engagieren? Ist er dazu verpflichtet, berechtigt, von wem und wodurch? Wo liegen seine Kompetenzen, auch seine Grenzen; auch außerhalb seiner Literatur? Was berechtigt, was verpflichtet ihn zum Widerstand? Was verpflichtet uns wann, wo, wie, warum dazu? Wie ist das mit dem Verhältnis von Kunst und politischer Verantwortung überhaupt? Hat die Literatur, hat der Schriftsteller hier – zum Beispiel im Vergleich zum bildenden Künstler, zum Komponisten und Musiker, zum Schauspieler, zum Liedermacher und Liedersänger eine Sonderstellung, eine besondere Aufgabenstellung, die mit seinem Beruf, mit seiner Ausdrucksfähigkeit, mit seiner Sprache, mit seinem Status in der Öffentlichkeit verbunden ist, woraus auch eine besondere Verpflichtung für ihn resultiert? Warum, und wenn ja, welche? Oder geht das alles die Literatur und die Kunst nichts an? Kann, darf man als Schriftsteller und Künstler nur ,,Privatmann” oder “Privatfrau“ sein; nur dies und sonst nichts? Muß man sich der Wirklichkeit, der Realität nicht stellen, nicht als Person, nicht als Schriftsteller, nicht als Künstler? Vor allem, wenn es um das Ignorieren oder um die Verleugnung der Wirklichkeit geht? Wer trägt eigentlich wofür die Verantwortung, für die Geschichte, für den Ablauf von Ereignissen und Handlungen in der Gesellschaft, in der Politik, im Öffentlichen Leben? Wie ist das mit der Rolle des Mitläufers, des Schweigenden und des Verschweigers und mit dem, der sich in die sogenannte ,,innere-Emigration“ zurückzieht? Wofür sind wir als Schriftsteller, als Künstler verantwortlich, mit unserem und ohne unser Werk, mit der Literatur und ohne unsere Literatur? Ist unsere Verantwortung und unsere Verpflichtung dazu aufteilbar, segmentierbar; oder müssen wir als Ganzes, als ganze Person reagieren? Welche Literatur des Gedenkens, des Mahnens, des Widerstandes gibt es und sollte es geben? Welche wird der Verpflichtung zum Eintreten für Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde gerecht sowohl literarisch, künstlerisch, als auch faktisch? Wer braucht das, wann, warum und wozu?

 

 

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ARCHE-Didaktik: „Gedenken”, Internationale Sommerakademie in Wien, vom 6. -10.7.1997, Workshop geleitet von P. P. Wiplinger,  9.7.1997, Hochschule für angewandte Kunst

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Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.