Please understand. We don’t want no trouble. We just want the right to be different. That’s all.
Zentrales Motiv des Albums von Pulp ist das britische Klassensystem. Dies äußert sich bereits im Titel Different Class und schließt eine thematische Klammer um die Songs des Albums, das man durchaus als exzentrischen Pop bezeichnen kann. Die Mischung aus New Wave, Euro-Pop und Indie-Rock mit ihrem Bezug zur „working class“ ist britisch bis zum Anschlag. Ihre Texte sind eine authentische Milieustudie des Lebens der „common people“, jedoch ohne Glorifizierung, mit Ironie und dem nötigen Abstand betrachtet. Zudem verfügt Different Class über alles, was ein gelungenes Album haben sollte, von feinfühligen Balladen („Live Bed Show“) bis hin zu tanzbaren Hits („Disco 2000“).
Oh, so I know you’re engaged to him.
Oh, but I know you want something to play with, baby.
I’ll be there when he’s out of town. Oh,
yes, I’ll show you how you’re doing it wrong. Oh,
I really love it when you tell me to stop
Erstaunlicherweise existierten Pulp bereits siebzehn Jahre vor ihrem Durchbruch 1995, und die meiste Zeit davon konnte man sie kaum als sogenannte ´Kultband` bezeichnen. In den 1980-ern veröffentlichten sie eine Reihe schräger, einigermaßen interessanter Alben bei kleinen Labels wie Red Rhino, Fire und Gift. 1991 gewannen sie mit ihrem linkischen, aufstrebenden Album „My Legendary Girlfriend“ einige Fans. Nach über einem Jahrzehnt des Dahindümpelns im Indie-Bereich wurden Pulp schließlich von einem großen Label aufgenommen, Island, das 1993 eine Anthologie ihrer letzten Gift-Singles mit dem Titel „ Intro“ herausbrachte und zwei Jahre später ihr Debüt in der Premier League, His ‚ N‘ Hers. „Do You Remember the First Time?“ streifte ganz knapp die britischen Top 40; die EP von The Sisters schnitt etwas besser ab und schaffte es dank ihres schwungvollen, bittersüßen Titelsongs „Babies“ in die Charts. Aber Pulp schafften es immer noch nicht, im Mainstream anzukommen.
We want your homes, we want your lives.We want the things you won’t allow us to do.We won’t use guns, we won’t use bombs.We will use the only thing we have more of: our minds.
Ein Gefühl der Dringlichkeit – „das könnte unsere letzte Chance sein“ – hat Pulp wahrscheinlich erfasst, als das Jahr 1995 begann und die Arbeit an dem Album losgingen, das später zu Different Class werden sollte. Siebzehn Jahre nachdem Cocker Pulp im Post-Punk-Sheffield als Schuljunge gegründet hatte, waren der Sänger und seine Gruppe an diesem entscheidenden Moment. Einer Legende nach schrieb Cocker acht der zwölf Songs des Albums in einem 48-stündigen Inspirationsschub. Darunter Common People, das sofort als Hymne herausragt.
Rent a flat above the shop

Ist Jarvis Cocker der Woody Allen des Pop?
Das Überwältigende an Common People ist die Art und Weise, wie sein kraftvoller Refrain und sein wilder Aufschwung Einigkeit und Entspannung schaffen, während der sozial bissige Text von Spaltung und Spannung spricht. Common People beginnt munter und skurril, wirkt aber zunächst wie eine ironische Anekdote aus dem wahren Leben: Ein vornehmes Mädchen rekrutiert einen Kunststudenten aus einfachen Verhältnissen (Jarvis) als Vorbild für die andere Hälfte. Doch mit zunehmender Geschwindigkeit steigert sich das Lied zu einer anklagenden Tirade, genährt von Cockers beißendem Bewusstsein dafür, wie unterschiedlich soziale Verhältnisse den Lebensverlauf bestimmen. Die in den Slums lebende Bildhauereistudentin des St. Martin’s College übernimmt den Lebensstil der weniger Wohlhabenden. Aber sie wird es nicht nur „niemals schaffen“, sie wird auch nie die Verzweiflung kennenlernen, die die Gier der Arbeiterklasse nach Genuss antreibt: Ein Anruf bei ihrem Vater genügt, und sie wird ihre wohlhabende Familie zurückerhalten. „Du wirst nie verstehen“, schimpft Cocker, „wie es sich anfühlt, sein Leben zu leben / Ohne Sinn oder Kontrolle und ohne Ziel / Du bist erstaunt, dass es sie gibt / Und sie brennen so hell, während du dich nur fragen kannst, warum.“
Cocker erzählte dem Melody Maker , dass er das Lied über sein Leben als Stütze in Sheffield geschrieben habe und beschrieb es als „einen der wildesten Songs, die ich je geschrieben habe … er ist definitiv der rachsüchtigste.“
„Different Class“ benennt das Hauptthema bereits im Titel: die sozialen Gegensätze, die Großbritannien quälen. Klassenunterschiede und regionale Antipathien tragen ebenso zum Erfolg der National Front bei – Pulps traditionell linksgerichtete Heimatstadt Sheffield im ehemals industriellen Norden stimmte überraschend für Faschisten, wie für Fremdenfeindlichkeit und Nativismus. Common People streute nicht nur Salz in die ewigen Klassenwunden, die jeden kennzeichnen, der in Großbritannien aufwächst, sondern sorgte 1995 auch als Scharmützel im Kampf des Britpop für Aufsehen. Die Rivalität zwischen Oasis und Blur war klassen- und regional geprägt: Nordirland-Jungs, gefeiert als authentische Arbeiterklasse, standen Südstaatlern gegenüber, die von ihren Kritikern als bürgerliche Unwirklichkeit angesehen wurden, Damon Albarns von Mockney geprägte Charakterstudien über das Leben im Park – das Cocker als „Slum“ beschrieb – waren ein Anstoß für das Schreiben von Common People. Cocker und andere Mitglieder der Gruppe wie Steve Mackey und Russell Senior repräsentierten eine andere Tradition des britischen proletarischen Pop als die Gallagher-Brüder: mit einem stur arbeitenden Hintergrund, einer tief verwurzelten sozialistischen Loyalität (Senior beispielsweise hatte während des Bergarbeiterstreiks 1984 gestreikt), aber dennoch künstlerisch und intellektuell, auf eine autodidaktische oder von der Kunstschule beeinflusste Weise, die im Widerspruch zu diesem Hintergrund stand.
In diesen Songs drückt sich eine wachsende Wut auf all jene aus, die eine Arbeiterklassenidentität als Abkürzung zur Authentizität missbrauchen.
Diese Spannungen – Treue zur Herkunft versus dem Wunsch, dem eigenen, selbstbeschränkenden Horizont zu entfliehen – flossen in „Mis-Shapes“ ein, dem Eröffnungsstück von Different Class. Es versucht, die populistische Kraft von Common People zu wiederholen, ist aber weniger erfolgreich, weil es nur für einen kleineren Teil der Bevölkerung spricht. Cocker singt als Sprecher derer, die „in der Schule zu viel gelernt haben“ und „jetzt nicht anders können, als zu klar zu sehen“, mitten durch die Lügen, die sich jeder Teil der Gesellschaft auftischt. Der Titel „Mis-Shapes“ ist eine altmodische Bezeichnung für ein kaputtes Produkt – oft ein Lebensmittel wie ein Keks –, das wegen Beschädigungen oder Mängeln aussortiert und manchmal billiger verkauft wird. „Man könnte am Ende eine Ohrfeige bekommen, nur weil man auffiel“, singt Cocker, die Erinnerungen an seine Verfolgung als schwächlicher Sonderling noch lebendig. Die Liner Notes des CD-Booklets greifen dieses Thema auf: „Bitte haben Sie Verständnis. Wir wollen keinen Ärger. Wir wollen nur das Recht, anders zu sein. Das ist alles.“ Der Ton von „Mis-Shapes“ ist jedoch nicht klagend und flehend, sondern schrill und trotzig und steigert sich über einen Überlegenheitskomplex („Wir werden das Einzige nutzen, wovon wir mehr haben, nämlich unseren Verstand“) zu einer triumphalen Fantasie von Rechtfertigung und Sieg:
„Brüder, Schwestern, seht ihr nicht? / Die Zukunft gehört euch und mir … Sie denken, sie haben uns geschlagen / Aber Rache wird so süß sein.“
Cockers Ambivalenz gegenüber den Massen ist auch in „Sorted For E’s & Wizz“ zu spüren, das mit „Mis-Shapes“ als Doppel-A-Seite Pulps zweiter Nr.-2-Hit des Jahres 1995 in Großbritannien wurde. In „Sorted“, einer wehmütigen Rückblende auf die illegalen Open-Air-Raves der späten 80er- und frühen 90er-Jahre, wird Cocker von der kollektiven Feier mitgerissen und bleibt tief im Inneren dennoch ein zweifelnder Zuschauer. „Soll sich die Zukunft laut eigener Aussage so anfühlen?“, sinniert er trostlos, „oder einfach nur zwanzigtausend Menschen, die auf einem Feld stehen?“ Als die Wirkung von Ecstasy nachlässt und die Morgendämmerung düster über den Horizont lugt, stellt Cocker fest, dass die Gefühle von Einigkeit und Gutmütigkeit nur künstlich und flüchtig waren: Keiner der überaus freundlichen Fremden, mit denen er sich früher in der Nacht angefreundet hatte, nimmt ihn mit zurück in die Stadt. Dennoch kann er das utopische Gefühl nicht ganz loswerden, dass sich für ein paar Stunden tatsächlich alle möglichen Gräben wie von Zauberhand aufgelöst hätten. Im Booklet der CD-Single bringt eine vier Worte umfassende, vollkommen zweideutige Aussage seine Wahrnehmung des flüchtigen Versprechens des Raves auf den Punkt: „Es hat nichts bedeutet.“
Politik steht meist in Beziehung zum eigenen Alltag. Das mag eine banale Erkenntnis sein, aber die meisten Mitbürger stellen sich dem nur selten.
Klasse ist jedoch bei weitem nicht das einzige Thema, das auf diesem Album brodelt. Mindestens die Hälfte der Songs führt die Liebes- und Sex-Themen von His ‚N‘ Hers fort , manchmal mit einem Hauch der sehnsüchtigen Nostalgie früherer Songs wie „Babies“. Die Behandlung auf Different Class reicht von frech („Underwear“) über schäbig („Pencil Skirt“, das heiser keuchende Bekenntnis eines gruseligen Lüstlings, der der Verlobten seines Freundes nachstellt) bis düster („Live Bed Show“ imaginiert die Trostlosigkeit eines Bettes, in dem keine amourösen Handlungen stattfinden). „Something’s Changed“ hingegen ist ein geradlinig romantisches und hinreißend berührendes Lied über die unbekannten und unerkennbaren Wendepunkte im Leben eines jeden Menschen: diese oberflächlich betrachtet trivialen Entscheidungen (heute Abend auszugehen oder zu Hause zu bleiben, in diese Kneipe oder jenen Club), die zu Begegnungen und manchmal bedeutsamen Veränderungen führten. Das epische „FEELINGCALLEDLOVE“ liegt irgendwo zwischen erhaben und schmutzig und verherrlicht die Romantik als chaotische Unterbrechung des Alltags: „Es passt nicht … es passt nicht in meine Pläne“, keucht Cocker und charakterisiert Desire auf urkomische Weise als „wie ein kleines Tier, das nur nachts herauskommt“.
Der eigene Körper ist für die Generation des so genannten Brit-Pop ein kostenloses, rebellisches Kunst-Material.
Sex und Klasse treffen in „I Spy“ aufeinander – einer grandiosen Fantasie von Cocker als Gesellschaftssaboteur, dessen verdeckter (bis hin zur Unbemerktheit, vielleicht nur in seinem eigenen Kopf existierender) Feldzug gegen die herrschenden Klassen buchstäblich darin besteht, mit dem Feind zu schlafen. „Es ist kein Fall von Frau gegen Mann / Es ist eher ein Fall von Besitzenden gegen Besitzlose“, erklärt er einen seiner jüngsten Überfälle („Ich schlafe seit 16 Wochen mit deiner Frau … trinke deinen Brandy / mache das Bett kaputt, das ihr euch gemeinsam ausgesucht habt“).
Pulp formulieren die Absurdität dessen, was für so viele Menschen lebensbedrohlich ist.
„I Spy“ ist wahrscheinlich der einzige Song auf Different Class , der einer Anmerkung bedarf, und selbst dann nur knapp. Entscheidend für Cockers demokratischen Ansatz ist, dass seine Texte intelligent, aber zugänglich sind: Er verzichtet auf blumige oder übertriebene Wortspiele, auf poetisch verschlüsselte Undurchsichtigkeiten, die sich als mystische Tiefen ausgeben. Er gehört jener Schule des Pop-Songwritings an – die ich im Großen und Ganzen für überlegen halte –, bei der man das, was man zu sagen hat, so klar und direkt wie möglich ausdrückt. Mit anderen Worten, in der Tradition von Ray Davis und Ian Dury.
Der Wechsel von der fiktiven Realität zum autosoziobiografischen Schreiben lässt Irritation aufkommen.
Cockers Songs auf Different Class sind so textreich, dass man in einer Würdigung noch lange schreiben kann, bevor man merkt, dass man seinen Sound kaum erwähnt hat. Pulp sind keine offensichtlich innovative Band, aber auf Different Class verfallen sie fast nie in den offensichtlichen Retro-Stil vieler ihrer Britpop-Kollegen. Auf Pulps 90er-Songs gibt es normalerweise ein Beispiel für ausgewachsene Pastiches pro Album, wie die Moroderartige Eurodisco von „She’s a Lady“ auf His ‚N‘ Hers. Hier weist „Disco 2000“ im Refrain eine unangenehme Ähnlichkeit mit „Gloria“ von Laura Branigan auf, während „Live Bed Show“ und „I Spy“ die Bewunderung und Sehnsucht nach Scot Walker andeuten. Vor allem aber ist es ein origineller, zeitgenössischer Sound der 90er, den Pulp auf Different Class entwickelt hat, geprägt von einer Art schäbiger Üppigkeit, einem dürftigen Maximalismus. Common People verwendete alle 48 verfügbaren Studiotracks, arbeitete mit seltsamen, billigen Synthesizer-Texturen wie dem Stylophone und einer Last-Minute-Overlay-Akustikgitarre, die laut Produzent Chris Thomas „so stark komprimierte, dass sie einfach in den Track eindrang … das Ganze zusammenklebte. Das war der Knaller, der es zum Laufen brachte.“ Das Cover scheint ein treffendes Symbol dafür zu sein, was Pulp mit „ Different Class“ und seinen Hit-Singles machten: Künstlerische Außenseiter, die sich ihren Weg in das Leben der einfachen Leute bahnen. Die Songs von Different Class mögen auf den ersten Blick bizarr und exotisch wirken, doch sie erzählen Geschichten, die ein breiteres Spektrum menschlicher Erfahrungen abdecken, als es Hörende von Popmusik gewohnt sind – und wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, wird das Hörerlebnis außerordentlich lohnend und seltsamerweise bestätigend. Pulp ist eine der diszipliniertesten Bands dieser Zeit, außergewöhnlich versiert im Arrangement und ebenso stark im Umgang mit der unterschiedlichen Dynamik, welche die Texte erforderten. Die Musik entstand in Gemeinschaftsarbeit, und die Arrangements nutzten die einzigartigen Fähigkeiten jedes einzelnen Mitglieds optimal aus. Diese Band verzichtet weitgehend auf große Solos und virtuose Momente, sodass man das hohe Niveau der Musikalität nicht sofort bemerkt. In diesem Sinne orientierte sich Pulp am symphonischen Modell und konzentrierte sich auf die Ganzheit der Komposition und die Mischung unterschiedlicher Stimmen. Dieser Ansatz eignet sich perfekt, um einen Gesangssolisten zu unterstützen, der seinen Gesang von lautstarker Leidenschaft bis hin zu beschwörendem Flüstern variiert. Besser hat sich Musik zum Klassenkampf selten angehört.
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Different Class von Pulp, 1995
Weiterführend → In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp.