Mona Lisa, Duchamp, Magritte

Leonardos Mona Lisa stellt mit ihrem Blick eine derart intensive Beziehung zum Betrachter her, dass man sich dagegen nicht wehren kann: sie lächelt nicht etwa nur für sich, sondern auch über mich, den Betrachter. Keiner erfährt, was sie denkt, indem sie verlangend oder gütig erkennend lächelt. Oder belächelt Leonardo mich, durch ihre Augen schauend – als wäre das Thema des Bildes die Bild-Betrachter-Relation?

Diesen Gedanken nahm Magritte auf, der das Gesicht als Frauenkörper surrealisierte, und er entlarvt so den Betrachter als Voyeur – als kaprizierte sich Magritte auf das Verlangen.

Du sprichst vom zugleich faszinierenden wie erschreckenden Lächeln. Du meinst damit, wie Leonardo, nicht die Schönheit, die auch erschreckend kalt und fern sein kann wie Lachen der Erkenntnis. Leonardos Bild bleibt in diesem Sinne wahrheitsleer, alles kreist, der Betrachter fühlt sich durchschaut, er weiß nur nicht, warum – das Bild sagt darüber nichts. Der Betrachter ist gezwungen, mit sch selbst zu sprechen, er muss sich vom Bild lösen, so gesehen thematisiert Leonardo die Kunst überhaupt. Kunst zeigt nur unbestimmt auf uns und die Welt. Der Betrachter muss den Zeigefinger des Bildes suchen und gleichsam verlängern. Kunst provoziert Selbst-Betrachtung – das wollen alle christlichen Tafelbilder. Auch Magritte und Duchamp erweckten mit ihren ironisch verfremdenden Leonardo-Zitaten, zumal die Substanz der „Mona Lisa“ längst verbraucht war, neue Sinngebung.

Ich wette, Leonardo wollte den Betrachter irritieren: der Blick, das Lächeln der jungen Frau ist so penetrant, so intim-aggressiv, dass ich vordergründig-stupide Deutungen für abwegig halte. Es ist das innerlichste und herausforderndste Bild des Malers im Genre des Auftragsporträts. Unerfüllt bleibt unser Verlangen nach Rätselzerstörung.

Weiterführend →

Ulrich Bergmann nennt seine Kurztexte ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren auf KUNO eine lose Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente. Lesen Sie zu seinen Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. Eine Einführung in seine Schlangegeschichten finden Sie hier.