Unmoralisches Angebot

Sie hatten den Abend zusammen verbracht, einige Glas Weizenbier verkonsumiert, eines jener Weizenbiere, die zwar nachgemacht aus dem Siegerland stammen, doch durchaus mit ganz gewiss gewisser Geschmacklichkeit aufwarten. Es hatte gut gemundet und die Gespräche durch die sogenannten Umdrehungen durchaus dankbar drehen lassen. Einer jener Abende, an denen die Unterhaltungen ohne bestimmtes Konzept, jedoch mit ansprechender Inhaltlichkeit geführt werden. Irgendwann schält sich dann ein zentrales Thema heraus, das genau in dieser Situation so lohnend ist, dass man auch schon mal einige Minuten ins Disputieren kommen kann, ohne aber den anderen etwas Übles zu wollen, sondern hauptsächlich um der Sache willen, dem Gegenstand und der Kommunikation. So allerdings war man noch zu keinem Thema gekommen, als sein Gegenüber plötzlich vornüber gebeugt und mit leiser Stimme fast schon verschwörerisch flüstert: „Ich habe gestern von einem anderen Künstler, ja den kenne ich schon seit Jahren, ein unmoralisches Angebot bekommen. Er möchte, dass ich eine Arbeit für ihn und in seinem Namen mache. Er würde in der Öffentlichkeit dafür benannt werden!“

Herr Nipp schwieg schon seit einer ganzen Weile, jetzt aber hatte er einen Punkt gefunden: „Nimm es an, ich halte es nicht für unmoralisch. Anerkannter Weise gibt es Ghostschreiber für Politikerreden, es gibt Ghostmusiker, die die Platten in Studio einspielen und auf der Bühne hören sich die meisten Stücke plötzlich ganz anders an, Milli-Vanilli hatten sogar Ghostsänger, die Kinder vieler Väter haben ganz ohne deren Wissen einen Ghostvater, warum also sollte es also keinen Ghostkünstler geben?“

 

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421