Laik Wörtschel – ein Künstler der Stille

 

Bereits im Jahr 1999 wird er das erste Mal voller Erstaunen in einem Artikel des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung benannt, in welchem über die Kunst des zukünftigen Jahrtausends breit spekuliert wurde.

„Eine radikal zurückgezogene Position des Versteckens in der Öffentlichkeit und Offensichtbarkeit wird von diesem verstörend ehrlichen jungen Mann vertreten. Laik Wörtschel hinterfragt im Nichtstun und Nichtssagen die Grundlagen unserer Gesellschaft als Ganzes.“

Wahrscheinlich hatte der Autor die frühen Arbeiten oder Performances per Zufall an der Düsseldorfer Akademie im Rahmen der sogenannten externen Kolloquien kennen gelernt.  Auch andere Medien griffen in großen Berichten diesen jungen Künstler auf, zitierten ihn oder versuchten sich an grundlegenden Interpretationen, die allerdings unweigerlich scheitern mussten. Keiner von ihnen hatte begriffen, in welchen Zusammenhängen sich dieser junge Mann gedanklich bewegte. Geschult an der mathematisch-musikalischen Logik, gilt als eine seiner frühen Lektüren das umwerfende Werk „Gödel Escher Bach“ von Hofstadter. Auch wichtig waren ihm die Kalias-Briefe von Schiller sowie ein eher seltsames Werk, das Wolfgang Tenzler herausgegeben hatte. In „Über die Schönheit hässlicher Bilder kommen Autoren wie Thomas Mann oder Rilke, aber auch Joseph Roth oder Carl Einstein zu Wort, die sich in ihren Werken mit Vormoderne und  Moderne beschäftigt hatten. Wer dies nicht wusste, konnte die wahre Tiefe dieses Künstlers nicht offenbaren. Das Lesen und Beobachten, das Vergleichen und zunächst sinnfreie Theoretisieren waren ihm ein inneres Bedürfnis, dort wo andere Menschen lieber feiern gehen. Seine Interviews waren oft wortkarg, ohne überflüssige Erläuterung und immer dann, wenn die Journaille ihn zu fassen glaubte, wurde sie in einen finsteren Hinterhalt der Unverständlichkeit gelockt. Denn schon allein die alte Frage Russels, ob 1+1=2 sei, hatte ihn lange umgetrieben. Dass ein Beweis nicht zu finden sei, auch. Da musste er sich dann tatsächlich an den Unvollständigkeitsatz Gödels halten, der behauptet, dass jedes mathematische System, welches auf Axiomen basiert und so komplex ist, dass es überhaupt von Nutzen ist, entweder unvollständig bleiben muss oder aber innerhalb der eigenen Voraussetzungen nicht beweisbar ist. Solche Gedanken in die kunst einzuführen, brachte zwar niemanden um den Verstand, sorgte aber gerne für völlige Unverständlichkeit. Wer also behauptet, dass ein künstlerisches Werk überhaupt zu verstehen sei, vergisst schnell, dass Teile des Denkens und Schaffens außerhalb der im eigentlichen Sinne künstlerischen Voraussetzungen sattfinden. Eine Linie ist in gewisser Weise natürlich ein bewusster Prozess, eine Entscheidung, doch eben auch Folge einer bestimmten Art der Bewegung, die durch Muskel- und Knochenbau bedingt wird. Außerdem weiß niemand, welcher Gedanke dahinter steckt, denn sie ist immer mehr als die Verbindung zwischen A und B, ist in ihrer immer einzigartigen Ausführung auch Folge eines momentanen Zustands, auch wenn der Künstler gerade dies abstreiten mag. Zusammenfassend sind die entstandenen Artikel jeweils als Ganzes zu verwerfen, lediglich die wörtlichen Nennungen sollten beachtet werden. Immerhin ist so eine Zitatensammlung Wörtschels entstanden, die sein komplexes und geradezu aphoristisches Denken belegt. In Folge sollen nur einige daraus benannt werden, um nicht den Rahmen dieses Kataloges zu sprengen. Nachfolgende Untersuchungen werden diesen Zitatenschatz noch eingehender zu heben und zu deuten haben. Aber schon allein die Tatsache, dass da ein gerade einmal zwanzigjähriger junger Mann in der Lage war, die Mechanismen des Marktes grundlegend zu hinterfragen und zu verstören, zeigt  die Unsicherheiten, die sich hinter den offensichtlich blasierten Kunstkritikern als Löcher auftun. Wo andere junge Künstler einen unglaublichen Berg an auswendig gelernten Floskeln als Selbstschutz vor sich aufbauen, um ja nicht in die Gefahr zu geraten, irgendwelchen Stumpfsinn von sich zu geben, ist er in der Lage, die Dinge zu durchschauen und vor allem Schlüsse daraus zu ziehen. Wer etwa die Landschaft für seine Kunst nutzt, der wird nur Partiale ausmachen und so eine Einschränkung vornehmen. Wörtschel erkennt jedoch, dass für seine Kunst die gesamte Landschaft verändert werden muss, um die Strukturen für eine zukünftige Wirtschaft zu prägen. Kunst ist bei ihm so besehen eben nicht einfach nur ein ästhetischer Prozess, sondern muss korrespondieren mit allen anderen Bereichen des Lebens, der Gesellschaft und sogar Wirtschaft. Was ein Joseph Beuys an Positionen hervorgedacht hat, wird hier bis in die letzte Konsequenz weitergearbeitet. Wo jener letztlich doch innerhalb des Systems verbleibt, geht dieser darüber hinaus. Laik Wörtschel kritisiert den Kunstmarkt nicht, er führt einfach vor, wie pervers sich dieser verhält und aus Objekten der künstlerischen Auseinandersetzung Fetische der Wirtschaftlichkeit geriert. Wenn ein Künstler unbekannt ist, kann er noch so viel Qualität haben, es wird niemand sehen wollen. Wenn ein Künstler jedoch bekannt ist, dann wird niemand die Fragwürdigkeit seiner Arbeit in Betracht ziehen. Kunst ist im 21. Jahrhundert ist definiert über ihren Anlagewert, nicht über die tatsächliche Wirkabsicht.

Laik Wörtschel, Ausstellung in der Werkstattgalerie Der Bogen. Photo: Leonard Billeke

Dann taucht der  1979 geborene Künstler völlig unter, arbeitet im Geheimen weiter, zurückgezogen von der Scheinwelt des Kunst- und Galerienmarktes. Er hatte erkannt, dass jeglicher Kontakt zu dieser „Banalkunst“, wie er sie einmal bezeichnet hat, korrumpierbar machen würde. Sehr bescheiden soll er in dieser Zeit in seiner angemieteten Einzimmerwohnung auf dem Land von Handlangerarbeiten bei den ansässigen Bauern gelebt haben. Offenbar muss er fleißig gewesen sein und konnte mit anpacken, ohne sich über jede Kleinigkeit zu mokieren. Er habe sogar Gefallen daran gefunden, die schwere und nicht immer so saubere Arbeit zu übernehmen. Auch wenn es vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang ging, berichtet einer der Bauern, bei denen er tätig war, habe Wörtschel immer noch seine Tiefsinnigkeit in einfachster Sprache gezeigt und dabei motiviert geklungen. „Ich habe von diesen Menschen, die unsere Erde bewirtschaften und immer darauf achten müssen, wie der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und landschaftlichem Schutz zu bewerkstelligen ist, viel gelernt. Vor allem aber erkannte ich, dass die Landschaft, nein, jeder Acker, jeder Quadratmeter Boden, jede Bodenkrume ein Zeitarchiv ist. Eine Fundgrube für den aufmerksamen Beobachter. Nicht umsonst heißt es in den alten Schriften, die mir geholfen haben, zu verstehen, „zum Staub kehrst du zurück“. Die Kenntnis und Erkenntnis der frühen Kulturen sollten wir uns zunutze machen.“

In dieser Zeit entstehen in der gleichzeitig als Atelier genutzten Kleinstwohnung tausende Zeichnungen auf Verpackungspapieren und theoretische Abhandlungen  über das Wesen von Kunst und sein damaliges Lieblingsthema,  die Fraktale Geometrie, in welcher er ein Werkzeug zur Erschließung der Welt erkennt, dies ausschließlich auf gefundenen Papieren. Es wird wohl eine Aufgabe zukünftiger Laik Wörtschel – Forschung sein, diesen Denkkosmos völlig zu entschlüsseln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese frühe Vertiefung in die menschliche Notwendigkeit zur Kunst stellt die Grundlage seiner heutigen Herangehensweise dar. Er ist einer der ersten Künstler überhaupt, die eine grundlegende Verbindung zwischen allgemeiner Religiosität, menschlich-tierischen Beziehungsstrukturen, landschaftlichen Gegebenheiten  und wirtschaftlichem Nutzen sehen, die nicht aufhebbar erscheint.

In einer Zeit der geistigen Aufbruchsstimmung, dieser für viele als verloren geltenden Generation Y, geht ein wissender Künstler in eine Art innere Emigration, wird zum von der Öffentlichkeit nicht weiter wahrgenommenen Einsiedler. Dabei erscheint er weiterhin regelmäßig in der Akademie, nimmt an den Veranstaltungen aber mit äußerst kritischer Haltung teil. Freunde hat er dort nicht. Seine provozierend schneidenden Kommentare und Zwischenrufe, seine Überlegungen sind von vielen Dozenten wie Studenten gefürchtet.  Ihm missfällt vor allem der Kult, den einige Professoren um sich wie ihre Klassen treiben, vom Malerfürsten bis hin zu jenen sich selbst fast sektiererisch religiös darstellenden Fotografenzirkeln.

Zu dieser Zeit entstehen auf das Äußerste reduzierte Zeichnungen, die auf den ersten Blick zufällige Liniengeflechte zeigen, welche allerdings bei längerer Betrachtung sowohl Bezüge zu prähistorischer Kunst zeigen, als auch beispielhaft Einblick in das Denksystem fraktalen Strukturierens geben. schon Diese Zeichnungen über bestimmte Abschnitte von Landkarten gelegt zeigen uns nicht nur die geologischen Strukturen auf, sondern erfassen mit fast absoluter Präzision die mikroklimatischen Bedingungen dieser Landschaften. Unter Berücksichtung von vorherrschenden Windströmungen und Wetterereignissen können die erstellten graphischen Strukturen fast schon als individuelle Fingerabdrücke von Gebieten angesehen werden.

Aber in Düsseldorf war es auch nicht die Akademie, die seine geistige Veränderung bewegte, sondern die Mutation der allgemeinen Atmosphäre. Die Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen Ästhetik und Leben, zwischen Natur und Verhalten, Wirtschaft und Gesellschaft. Wo andere Künstler sich zu hermetischen Gruppen zusammenfanden, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten, löste er sich aus den sozialen Systemen, um so einen verinnerlichten Blick von außen auf die internen Verhältnisse unserer Gesellschaft, der Entwicklung zur Virtualität des Seins an sich zu werfen. Der Mehrwert des Künstlertums, das hatte er erkannt, kann allerdings nicht darin bestehen, dass jeder mit jedem kooperiert. Der Mehrwert beim Arbeiten beruht zunächst darauf, dass Kunst kein Vehikel für Anderes ist, sondern aus sich selbst heraus ein Weltverstehen und so ein Umgang mit dem ästhetischen Gedächtnis möglich erscheint. Er fand, dass die Kunst kurze Wege gehen muss und nicht auf Rituale verzichten darf, damit das Denken über sie aus dem Informellen herauskommt. Da Kunst aus dem religiösen Ritual kommt, soll es auch nach seinem Empfinden in einem geistigen Milieu bleiben, das die Menschen geistlich inspirieren und berühren kann. Denn offensichtlich ist es wohl so, dass erst in dem Moment, in dem der eigene Standpunkt zur Disposition gestellt wird, Augenhöhe entstehen kann. Um das Gegenüber heute noch ernst nehmen zu können, muss künstlerisches Schaffen als Infragestellung des eigenen Standpunktes stetig stattfinden. Wichtig ist dabei, dass die eigene Kultur von vielen anderen Kulturen mitbewohnt wird. Diese Erkenntnisse waren ein Kristallisationspunkt seiner Reifung im Zeitmaß. Im sich langsam vollziehenden Prozess hatte auch die Spaltung vom allgemeinen künstlich mit Skandälchen aufgeheizten Kunstgeplänkel seine Wurzeln.  Sie war ein organischer Läuterungsvorgang, der das Spannungsverhältnis zwischen dem Neuen Erkennen und der Tradition der Moderne und Postmoderne  sichtbar werden ließ. Künstlerische Aktivität im Sinne Geoffroy de Lagasnerie; durch Handeln jede Beziehung zum Kollektiven aufkündigen, Flucht als künstlerische Stellungnahme, denn diese bedeutet aktives und individuelles Wählen eines Standpunktes, ohne ihn sich von außen aufnötigen zu lassen. Man muss nicht, man kann gehen. Man muss nicht, man kann reden. Man muss nicht, man kann denken.

Laik Wörtschel, Ausstellung in der Werkstattgalerie Der Bogen. Photo: Leonard Billeke

Dem Mythos des öffentlichen Raums als Ort der verbindenden Debatte muss man die Idee entgegensetzen, dass es miteinander inkompatible Problemstellungen gibt.

Geoffroy de Lagasnerie, Die Kunst der Revolte.

Es entsteht so auch eine unwillkürliche, eine kritische Rückanbindung an deutsche wie europäische Kunsttraditionen wie Romantik und Barock, immer aber unter Nutzung der Erkenntnisse von Moderne und ihren Folgen bis in die Gegenwart. Das mag auf den ersten Blick vielleicht etwas seltsam anmuten, aber schon bei der Nennung einiger zentraler Begriffe sollte  sein Bezugsfeld verständlich werden. Der Barockzeit entnimmt Wörtschel die drei zentralen Begriffe von vanitas (Vergänglichkeit), carpe diem (Nutzung des Jetzt) und memento mori (Bewusstsein der Endlichkeit des Seins), löst sie aus der Vergangenheit und legt sie vor allem in den Performances, den  invironmental inventions  wie auch den jüngsten asphaltics als emblematische wie chiffrierte Schablone über unsere Gegenwart. Hinzu kommen die Natursehnsucht, die pantheistische Sicht auf die Landschaft und das Fernweh im Reduzieren auf das Hier. Dies allerdings nicht in der grundsätzlichen Weltflucht der Romantiker oder gar der Skepsis des Expressionismus, sondern unter dem Vorzeichen eines grundsätzlichen Verstehenwollens der Weltzusammenhänge auf einerseits wissenschaftlicher, andererseits ästhetischer Basis. Vieles bleibt zunächst noch im verbalen Bereich oder der Projektion. Die Realisierungen sind noch nicht Ziel seines Denkens wie Handelns. Aber ihm wird immer offenbarer, dass der öffentliche Raum in Zukunft zu seinem Spielfeld im wahrsten Sinne werden muss. Dabei nutzt er es weniger als Schachfeld, wie ein Marcel Duchamp es vielleicht getan hätte, sondern er macht sich eingehende Gedanken über das Metaspiel seines Agierens, er findet und erfindet Spielregeln, die einerseits als Matrix für sämtliche Kunstwerke gelten können, als andererseits auch auf die Situation angepasst werden müssen. Dieses auf den ersten Blick naive Herangehen, zeigt in seiner Ausprägung und Realisation hochkomplexe Strukturen auf, welche seine Betrachter immer wieder an den Rand des Verstehens bringen. Der Spieler nutzt die vorgegebenen Felder des Schachbretts, nur um in einer neuen Zeit zu scheitern, der Besonnene ignoriert sie.  Wörtschel gehört zu jenen, welche weder das eine noch das andere machen. Er entwirft einfach neue Spiele, denen sich die anderen fügen müssen, wollen sie in dieser neuen Welt bestehen. Dies jedoch auf eine so charmante Art, dass die neuen Mitspieler glauben, dies aus freien Stücken zu tun. Wer nicht an den Markt glaubt, kann ihn verändern. Wer ihm gehorcht, wird sich unterwerfen müssen. So ist es nicht nur bei Künstlern oder Kunsthändlern, auch die Museumsleute unterwerfen sich lieber, als selbst die Initiative zu ergreifen. Sie lassen sich lieber beraten, als selbst zu denken. Werden dann allerdings Fehler gemacht, so können diese auf die mittlere Entscheidungsebene abgeschoben werden und es bleibt beim alten Schachspiel. Der Bauer wird zuerst geopfert. Hauptsache, der König kann für die Zukunft geschützt werden. Da muss man doch Visionäre loben, die zum Beispiel Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Ideen umzusetzen wussten und neue Sammlungen bildeten, die heute zum Grundstock der Museumslandschaft geworden sind.

Wenn die Maler des 20. Jahrhunderts es vermocht hatten, die Realität hinter der absoluten Schwärze zu verstecken, ins Grau zu tauchen und die Grenzen zwischen Realität und Kunst aufzulösen, so gibt es diese Grenzen bei Wörtschel schon lange nicht mehr. Wer entgrenzt denkt und handelt, wird nicht irgendwann wieder beginnen, neue Grenzen zu schaffen. Eine solche Dummheit mögen vielleicht ignorante oder arrogante Inselbewohner begehen, die an die Herrlichkeit eines Königreiches glauben, der neue Kosmopolit wird sich dem mit guten Argumenten zu entziehen wissen. Laik spielt sogar mit dem Gedanken, die Kunst an sich auszulöschen und das Reale scheinbar werden zu lassen. So könnte der schöne Schein, in dessen Licht sich die Auguren des Kunstmarktes sonnen, schnell verschwunden sein. Erst im Wissen um die paradoxe Macht seiner Werke kann er die Strategie einer neuen Wahrheit entwickeln, mit der Aussicht darauf, die Wirklichkeit zu überwinden und neu zu strukturieren. Aber viel mehr als Mutmaßungen können an dieser Stelle nicht angestellt werden, denn Wörtschel erläutert diese in den Raum geworfenene Gedanken nicht weiter.

Daran muss sich niemand stören. Weit interessanter als das ewige, dicke Kataloge füllende Gerede über Früh- und Spätwerk, über Zuschreibungen, mögliche Romreisen und die Rolle der Gehilfen ist ja ohnehin die Kunst, unfasslich und rätselhaft auf ihre Weise.

Hanno Rauterberg; Schwarze Welt, holder Liebreiz. In Die Zeit, 23.03.2016.

Seine Devise wird das Entdecken der Realitäten der Freiheit im Handeln in der Öffentlichkeit, ohne von dieser zunächst wahrgenommen zu werden. Man mag hier kritisieren, dass eine personalisierte, mitunter private Kunst eben diese angedeutete Kunsthaltung nicht erzeugt, ja, diese gar nicht vorhanden ist, das hat sich allerdings immer schon als grundsätzliche Fehlannahme offenbart. Das Sublime drängt sich allmählich erst in das Bewusstsein und verändert ebenso allmählich das Sein. Wenn Ende siebziger Jahre von individuellen Mythologien gesprochen wird, die allerdings in sich geschlossene Prozesse abbilden,  so kann man spätestens bei ihm davon ausgehen, dass diese eine klar sichtbare und vor allem langfristige Auswirkung auf unser Leben haben. Dies wird im Laufe der vorliegenden kurzen Schrift noch zu Bewusstsein treten, auch wenn sicherlich ebenso an dieser Stelle eine wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Position vonnöten wäre, die Bedeutung für das 21. Jahrhundert erst völlig aufzuschließen.

In dieser Publikation, die auf massiven Druck der Öffentlichkeit notwendig wurde, möchten wir einige Aspekte des Werkes aufgreifen, nicht so sehr erklären als auf Evidenz abklopfen. Eine an Massenphänomenen geschulte Kultur scheint langsam zu begreifen, dass der Einzelne Wirkmechanismen aufgreifen kann, die zum Paradigmenwechsel innerhalb unserer allgemeinen Ästhetikwahrnehmung führen werden. Dahinter nämlich steckt etwas Tiefergehendes; eine grundlegende Befragung unserer kulturellen Basis. Was im Bezugsfeld der Städtlandschaften dieser Welt als Fortsetzung von Mythenbildung und Skandalprovozierung ein Banksy für sich behauptet, aber nur in Teilen erfüllen kann, nämlich eine grundlegende Unterwanderung der merkantilen Strukturen ist bei Laik Wörtschel durch sein konsequent öffentliches Handeln schon lange Realität. Was bei Christo auf kleine Zeitabschnitte befristet ist, entspinnt sich bei ihm in ein Zukunftswirken.

parallel lines

Ob Laik Wörtschel die Musik der amerikanischen Popband Blondie jemals gehört hat, kann hier nicht beantwortet werden, aber die Gleichheit der Titel des bekanntesten Albums dieser Rockstars der späten siebziger und frühen achtziger Jahre und seiner ersten Arbeit in der Landschaft ist doch auffällig. Als habe die Zeit des Aufwachsens in einer Musikerfamilie ihren Prägestempel hinterlassen (Seine deutschkoreanische  Mutter Lajen Sin Tsu–Schlächt war Studiobackgroundsängerin in diversen Londoner und New Yorker Studios, sein Vater, der österreichischschwedische Gitarrist A.L. Wörtschel, gab vielen Pop-Alben mit seinem sehr eigenartigen Stil ihre Besonderheiten. Wohl haben sie auch gemeinsam mit verschiedenen Größen des Pop- und Rockzirkus´ gearbeitet. Meist aber haben auch sie sich verbeten, dass dabei ihre Namen genannt oder gedruckt wurden. Der Vater hat unter diversen Pseudonymen einige echte Hits geschrieben, deren Tantiemen noch heute Grundlage seines Lebens sind.).

Laik Wörtschel wuchs dreisprachig auf, lernte nebenbei in seiner Kindheit, die er vor allem in London verbrachte, Englisch und absolvierte sämtliche Schulformen mit Bestnoten und Auszeichnungen. Seine hohe Intelligenz veranlasste mehrere Lehrer zu fordern, er solle auf eine Hochbegabtenschule gehen, doch dafür war einfach kein Geld vorhanden. Ein angebotenes Stipendium lehnte die Mutter aus ethischen Gründen ab. Obwohl er viele Popikonen wie Iggy Pop, David Bowie und Lou Reed, aber auch Musiker der Indipendentszene wie Nick Cave, Blixa Bargeld und Mark E. Smith jener achtziger und frühen neunziger Jahre als Kind persönlich kennenlernte und immer noch mit einigen regen Austausch hält, jenen die die Zeit überlebt haben, lebte seine Familie eher bescheiden. Die Erkenntnis, dass der wahre Luxus im Wissen und Gespräch an sich liegt, brachte sein familiäres Umfeld dazu, auf die sogenannten Errungenschaften der Moderne weitgehend zu verzichten. So mag es nicht wundern, dass auch Laik Wörtschel solche völlig überflüssigen Dinge wie Fernseher und Computer nicht sein Eigen nennt. Am besten ist er zu erreichen, wenn man mit dem Rad entlang der Strecken fährt, die er seit Jahren mit seinen Asphaltics gestaltet, denn auch ein Mobiltelefon nennt er nicht sein Eigen.

Laik Wörtschel arbeitet in den „parallel lines“ mit einigen Landwirten, bei denen er auch Handlangerarbeiten versieht, zusammen und kann diese dazu überzeugen, ihre landwirtschaftlichen Fahrzeuge als spurgebende Werkzeuge, also als Stifte oder Zeichenfedern auf einer geradezu riesigen Zeichenunterlage, den Wirtschaftsfeldern, zu nutzen. Nach seinen Entwürfen entstehen hier völlig neue Anlagen von Feldern. Neben dem ästhetischen Prinzip entstehen Eingriffe in unsere Wirtschaftslandschaft, die zunächst über ein Jahr hin diese tatsächlich prägen. Die Felder werden nach dem vorgegebenen Muster eingesät und später auch abgeerntet. Es entsteht ein, wohl auch durch die genaue Beobachtung der Landschaft,  für die Bauern unerwarteter Effekt. Die Erosion des Bodens wird verringert, die sogenannten Windschläge, welche immer wieder zu Ernteschäden führen, kommen so gut wie gar nicht mehr vor. Auch die Wildschäden verringern sich, weil den Erfordernissen der Tiere Platz gegeben wird.Wie kann dies geschehen? Der Künstler, als genauer Beobachter des Seienden und vor allem am Wirtschaftsprozess Unbeteiligter, kann die Situation unvoreingenommen erfassen. Er betrachtet auch Faktoren wie Niederschlag, Wind und Witterung als ästhetische Erscheinungsformen der Natur. Er beobachtet die Spuren, welche die Wirtschaftswerkzeuge und Tiere in der Natur, auf den hochgepflügten Steinen hinterlassen, erkennt die Bezüge zwischen Landschaftsformation und Anlage der Felder, zieht seine Schlüsse. So etwa entdeckt er als Erster das Phänomen der Aerodynamik der Feldrandzonen.  Den Verlauf von Mäusegängen unter den Feldern untersucht er, auch die nach bestimmten Winden entstehenden Laubkreise mitten in der Landschaft. Er kann nicht durch die Landschaft gehen, ohne alle Sinne. Sehen, fühlen, riechen, hören, schmecken und sogar der Gleichgewichtssinn sind ihm Grundlage der bewussten Wahrnehmung und Interpretation natürlicher Vorgänge. Er geht als Beobachter der allgemeinen Selbsttäuschung aus dem Weg, so entsteht ein dialektisches Selbstverständnis dieses Wahrheitssuchers, jenseits der üblichen Täuschungsmetaphern in der Kunst.

In den Jahren 2005 bis 2008 entstehen so einige Projekte, über welche zunächst von den unbeteiligten Bauernschaften geschmunzelt wird. Als sie jedoch die signifikant gestiegenen Ernteergebnisse der Kollegen sehen, kommen sie auf den jungen Mann zu und holen sich Rat. Ein Amateur das heißt Liebhaber der Umweltbetrachtung wird ihnen zum Spezialisten des ihnen ureigenen Handwerks. Schon allein die Erkenntnis, dass das Durchkreuzen der Parallelen, das sanfte Abrunden von Geraden und das sinnvolle Anordnen linearer Strukturen anhand zunächst abseitig gedachter  Funktionsprinzipien hilfreich sein kann, führt die Agronomen dazu, in der zukünftigen Anlage ihrer Wirtschaftsflächen einer neuen Ästhetik zu folgen, Wörtschel nennt dies lakonisch „Agrarschönheit“. Seit dieser Zeit sehen wir vor allem im Bereich der Soester Börde, dass ganze Feldzusammenhänge sich nun anders in die Landschaft schmiegen. Nicht mehr wird nun das große Feld bewirtschaftet, sondern die Eigenheit eines Flurstücks aus seiner Wesenhaftigkeit erfasst und bearbeitet. Wörtschels künstlerischer Prozess ist völlig anders als jene der anderen Artisten der Gegenwart. Er führt andere Menschen zur Erkenntnis, damit diese aus freien Stücken seine Kunst fortsetzen und damit eine ganze agrarisch geprägte Kulturlandschaft der Kunst zuführen.

yellow inventions

Bei seinen Studien zur Natur des Bodens stellt Laik Wörtschel schnell fest, dass er ein Archiv vor sich hat. Er entdeckt Kleinigkeiten und Bruchstücke, Relikte aus der Vergangenheit und zieht seine Schlüsse, beginnt in der Folgezeit diese Archefakte zu sammeln und stellt grundlegende theoretische Überlegungen an. Tatsächlich findet er Gegenstände und Reste, Bruchstücke aus über zehntausend Jahren, kann diese sogar in Zusammenarbeit mit dem prähistorischen Institut in Münster den verschiedenen Jahrhunderten zuordnen. Tatsächlich werden AUCH FRÜHE Werkzeuge der verschiedenen steinzeitlichen Kulturen gefunden. Überrascht müssen die Archäologen und er feststellen, dass es schon viel früher als angenommen bäuerliche Strukturen im Bereich Soests gegeben hatte. Dies lässt sich sowohl an der Funktionsweise der Werkzeuge ablesen, als auch an den Formen der rekonstruierten Ton- und Töpferwaren. Auch die kultischen Figurinen mit ihrer bemerkenswerten ästhetischen Qualität verweisen auf eine Struktur von Jägern und Bauern, nicht so sehr auf Sammler, wie dies bisher angenommen worden war. So entwickelt er eine agrarische Zeittafel. Seine Erkenntnis; Prozess und Zeit gehen in der Vergangenheit Hand in Hand. Spuren der Arbeit bleiben in jeder Einzelheit erhalten. Schlussendlich verstreut er entgegen der Absicht seiner wissenschaftlichen Begleitung seine Entdeckungen wieder auf den Feldern, weil er sie dort sicherer glaubt, als in menschlicher Hand. Ein juristischer Prozess, welcher vom Institut für Vorgeschichte angestrebt wird, wird allerdings von der Staatsanwaltschaft niedergeschlagen, da Wörtschel nicht den Versuch gemacht hatte, die Gegenstände zu verkaufen. Seine Argumentation wird tatsächlich von einigen jungen Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Neolithik nachvollzogen, die ihn für diese Konsequenz bewundern. Er begreift die Landwirtschaft als Museum oder Archiv ihrer selbst. Mit dem Landwirt Schulte-Nordtönnen realisiert er im Laufe eines Jahres ein Projekt, in dem aktiv Relikte der Jetztzeit in die Landschaft eingetragen werden. Zunächst trägt er gelbe Reststoffe zusammen, vor allem Plastikelemente, die aus ihrem Zusammenhang gerissen werden müssen, um ihren eigenen Wert zu erhalten, Gegenstände die großflächig auf einer Wirtschaftsfläche ausgetragen werden.Er ist der Meinung, dass Plastik mit seiner Haltbarkeit über Jahrtausende der dieser Zeit eigenste Stoff ist, Repräsentant des 20. Und vielleicht auch des 21. Jahrhunderts. Außerdem sieht er darin die Verbindung zu den verschiedenen geologischen Zeitaltern der Erde, seitdem diese von biologischen Einheiten bevölkert wird, letztlich werden die meisten Kunststoffe bekanntlich aus Erdöl hergestellt. Im Frühjahr 2009 pflügen die beiden  später von anderen so benannten „Agraraktivisten“ sämtliche Stücke in einer zweitägigen Aktion unter. Dabei wird einer jener alten Pflüge verwendet, der noch, wie Ende des 20. Jahrhunderts üblich, sehr lange Scharen hat, welche teilweise bis zum steinigen Grund reichen.  Dieses Mal gerät die an sich geheime Aktion  zum ersten Mal ins öffentliche Massenbewusstsein. Das nächtliche Pflügen war von einigen Leuten aus der Umgebung beobachtet und mit dem Handy gefilmt worden. Ohne den Sinn zu verstehen oder gar auch nur zu fragen, was da geschieht, wurden die Filme mit empörten Kommentaren ins Netz gestellt und dort verbreiteten sie sich mit unglaublicher Geschwindigkeit viral. Zeitungen beschweren sich tatsächlich in langen Berichten und Kommentaren darüber, dass die Landschaft verschandelt werde. „Es ist doch unglaublich mit welcher Dreistigkeit dieser sogenannte Künstler unsere Natur zerstört und dies unter dem Vorwand Kunst zu machen.“ Hetzt eine Provinzzeitung, die von sich selber behauptet, frei unabhängig und überpolitisch zu sein (sämtliche Interpunktionsfehler wurden übernommen). Auch die Lokalsender und private Fernsehsender schicken einige Teams, um die „Riesensauerei im Namen der Kunst“ filmisch festzuhalten. Tatsächlich kommt es auch zu einigen Anzeigen, die allerdings im Sande verlaufen, da Wörtschel tatsächlich durch seine wissenschaftliche Publikation zum Thema „Felderwirtschaft als Kulturarchiv“ (erschienen im Verlag für Agrikultur) beweisen kann, dass sein künstlerisches Handeln nicht nur einen grundlegend wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung der Menschen darstellt, sondern darüber hinausgehend die Tradition der Jahrtausende fortsetzt. Er belegt sogar glaubhaft, dass der Akt des Unterpflügens in gewisser Weise kultischen oder rituellen Charakter hatte. Und damit an  gesamte Menschheitsgeschichte erinnere. Das Feld mit den gelben Plastikelementen wird seitdem jedes Jahr neu umgepflügt und manchmal tauchen einige „Relikte des Jetzt“ (so von einem Redakteur des DLF benannt) tatsächlich auch an der Oberfläche auf. Leider hat der Kunstmarkt schnell erkannt, dass hier viel Geld zu verdienen ist. Ohne Erlaubnis des Bauern wie des Künstlers, die dies im Übrigen kalt lässt, sieht man immer wieder im Herbst und Winter Sammler nachts mit Taschenlampen über das Feld ziehen und die aufgedeckten gelben Einzelteile einsammeln. Da die Fragmente nicht signiert sind, werden sie nicht gesäubert, da hierdurch die Authentizität garantiert scheint. Sie werden inzwischen zu Höchstkursen auf Auktionen gehandelt. Leider wird durch diese sich selbst so bezeichnenden Kunstliebhaber der Archivgedanke ziemlich hinterfotzig hintergangen. So hintergeht der Kunstmarkt letztlich die Ziele der Kunst. Diese Sammler bemerken ihrerseits in finanzieller Verblendung gar nicht, dass sie zu Possenreißern werden, die Laik Wörtschel letztlich institutionalisiert hat. Viele Besucher erfreuen sich andererseits, wenn das Feld gerade frisch gepflügt wird, auch am Anblick der gelben Elemente in der braunen Flur, die noch nicht vom zarten Flor des sprießenden Grüns durchwoben ist. Dieselbe Lokalzeitung wie oben schrieb im Jahre 2011 übrigens:

Für uns unverstendlich ist es das die Behörden es immer noch zulassen das dieses grandiose  Kunstwerk von Geschäftemachern so unverschähmt zerstört wird.

Zitat unverändert übernommen.

Nach Realisation dieser inzwischen legendären Mischung aus Performance und Installation, hat Laik Wörtschel nie wieder ein Wort über deren Sinn und die Bedeutung verloren. Egal was er macht, es bleibt uns jedes Mal nur die Wahl zwischen Ignoranz oder Spekulation.

leaves `n shadows

Im Herbst 2009 sammelte er abgefallene Blätter, die mit ihren besonderen Formen inspirierend erschienen; diese wurden in Stickstoff schockgefroren, um deren Struktur völlig zu erhalten. Im Frühjahr des Folgejahres lud er per Rundschreiben an alle wichtigen Zeitungen der Republik zu einer performatorischen Wanderung ein. Die Resonanz war groß, die meisten Blätter berichteten breit angelegt über die vermutete Idee, welche dahintersteckt. Das grundlegende Anliegen wurde gar zu einem dieser typischen Feuilletonstreits, in welchen die Großen der Branche verbal aufeinander eindroschen. Leider musste diese zweimal verschoben werden, da die Sonne, welche ein wichtiger Bestandteil der eigentlichen Performance ist, nicht schien.
Kommen beim ersten Versuch noch über dreihundert Interessierte, sind es beim letzten Mal gerade noch vierzehn Kunstenthusiasten, die dem Aufruf folgen. Während der Wanderung, die sich über zehn Stunden über den Höhenzug Haar hinzieht, welcher die Soester Börde vom Sauerland trennt, entnimmt Wörtschel nun mit einer Zange dem Kühlaggregat an Stellen, die sich durch ein besonderes Lichtschattenmuster auszeichnen, jeweils zwei tiefgefrorene Blätter, legt sie in den Schatten und wartet , bis diese soweit gewandert sind, dass die Blätter von der Sonne aufgetaut werden. Dieses Zeremoniell wiederholt er immer wieder, völlig in die Betrachtung vertieft. Erstaunlicherweise herrscht während der gesamten Wanderung sowohl beim Künstler als auch beim Publikum völliges Schweigen. Einer der Teilnehmer beschreibt es später so:

Wir fühlten uns alle in einer Art Trance gefangen. Die starke Persönlichkeit von Laik, verbunden mit seinem offensichtlich  rituellen Handeln schlug uns in den Bann der völligen Versunkenheit im Betrachten und Erleben.

Zu einer Bewertung in irgendeiner Form zu kommen, kann nicht an mir liegen, Assoziationen allerdings kommen tatsächlich auf, zu den Aktionen eines Joseph Beuys, in welchen ebenfalls die Beziehung zwischen dem Individuum und der Natur, den Energien des Menschen und der Umwelt thematisiert wird. Wörtschel hat dies weder dementiert, noch n irgendeiner Weise Stellung dazu bezogen. Es scheint fast, als betrachte er seine Arbeit als natürliches und damit völlig wertfreies Vorgehen.

apple `n corn

Im gleichen Jahr noch entstand einige Zeit später die Performance „apple `n corn“. Sie zeigt auf, in welcher Weise das Handeln die Umgebung  zu beeinflussen imstande ist. Der wohl als ironische Spiegelung des Konsumverhaltens der Bevölkerung zu verstehende Titel weist eine Doppelbödigkeit auf, die erst mit dem wiederholten Besuchen der Reste dieser Aktion verstanden werden kann. Tatsächlich entstehen in den liegen gelassenen Früchten Gärungsprozesse, die darauf verweisen können, dass es sich bei Konsum grundsätzlich um ein rauschhaftes Erlebnis handelt. Andererseits sind es eben nicht allein solcherart Veränderungen, die sich ergeben. Auch der völlige Zerfall der Früchte durch die sich automatisch einstellenden Tiere wie Asseln, Fruchtfliegen, Würmer und Mäuse  und Pilze wie dem Schimmel wird zur Grundlage der Humus- und Düngerbildung. Das gesäte Korn erhielt auf diese Weise zusätzliche Nahrung. So scheint Wörtschel mit einfachsten Mitteln aufzudecken, dass nichts beziehungslos ist, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint.

Er warf mit immer gleicher Bewegung und Kraftanstrengung Äpfel in ein Feld. Teilweise waren diese frisch, teilweise wiesen sie bereits Faulstellen auf. Diese hatte er ebenso im Vorjahr an den Straßenrändern gepflückt oder gesammelt und unter optimalen Bedingungen einlagern lassen. Im Laufe von zwei Stunden ergab sich dabei eine Häufung von Äpfeln, die mit ihren runden Formen einen Kontrast zu den Stängeln des Mais´ und des Weizens boten. Auch diese Aktion wurde in keiner Weise von Wörtschel kommentiert. Auch hier müssen wir als Betrachter wohl Fragen zur ästhetischen Wahrnehmung der Landschaft stellen.

Wie gehen wir mit unseren Lebensmitteln um? Welche Bedeutung hat die Produktion? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Wachsen und Vergehen?

Der Rausch hinterlässt trotz des zeitweisen Vergessens durch Erinnerungslücken tatsächlich immer ähnlich Spuren wie auch unser Handeln in und mit der Umwelt. Dies aufzuspüren und zu verdeutlichen, ohne den berühmten Zaunpfahl hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervorzuzaubern (die Vermischung zweier Sprichwörter kann manchmal doch sehr fruchtbar sein), kann als eines der zentralen Anliegen gedeutet werden.

Skulls and things

Seit 2010 sammelt er kleine Alltagsgegenstände und Schädel von Tieren, welche er mit Metallfarben überzieht. Die Gegenstände werden danach von allen Seiten fotografiert und digitalisiert. Mit einem speziellen Umrechnungsprogramm können die Objekte nun mit 3D –Druckern ausgeplottet und zusammengesetzt werden, um sie daraufhin mit Chrom zu beschichten. Wörtschel nutzt hier modernste Reproduktionstechnik, um Gegenstände aus dem Erfahrungsraum in die Kunstwelt zu katapultieren und mit einer sehr reduzierten Präsentation den Betrachter hilflos stehen zu lassen. Es gibt keine Ikonologie des Vergleichs, die Objekte wirken irrational und abweisend, bekommen einen edlen Charakter, der jegliches körperliche Empfinden verstummen lässt. Der Betrachter betrachtet so in den spiegelnden Flächen nur sich selbst und seine Umwelt in verzerrter und verrenkter Weise. Erst im Zurücktreten wird die gesamte Form überhaupt sichtbar, wenn nicht sogar überschaubar. Die Reaktionen des Publikums reichten so auch von Abscheu bis fast irrationaler Bewunderung, von Gleichgültigkeit bis Faszination. Es gibt kein Dazwischen, entweder hassen die Menschen diese Reihe oder sie vergöttern diesen Künstler des fehlenden Seins. In einigen Berichten wurden Vergleiche mit den Readymades von Marcel Duchamp gewagt, wobei dies natürlich schon wegen ihrer Machart nicht richtig sein kann. Andere sahen Bezüge zu Jeff Koons, der seine Skulpturen nach eigenen Entwürfen gerne von erfahrenen Handwerkern anfertigen lässt. Vergessen wird hierbei allerdings der grundlegend verschiedene Ansatz. Bei Koons kann der Hintergrund der Markttauglichkeit nicht verleugnet werden, Wörtschel interessiert sich offenbar gar nicht dafür, überlässt den Galeristen oder öffentlichen Orten nach der Präsentation das Produkt. Ihm scheint es also gar nicht um die im klassischen oder transklassischen Sinne  angefertigte Manifestation der Gedanken zu gehen, sondern darum, dass die Idee an sich realisiert wird.

asphaltics – forms, structurefields and lines

Die vergangenen Jahre des Stillstands im Straßenbau, bei den Renovierungen unseres Wegesystems haben die Oberflächen reißen lassen. Mancherorts fehlen gar ganze Stücke des Oberflächenmaterials und offenbaren zwar sehr malerisch, jedoch für Fahrzeuge jeglicher Art durchaus gefährlich, die darunter liegenden Schotterschichten. Die knappe Kassenlage der Kommunen zwingt zum Sparen. In einigen Städten suchte man nach Lösungen, die verschiedene Aspekte mit einander verbinden. Bei einem dieser öffentlichen Workshops schlug Wörtschel ein neues System vor, das einerseits die sozialen Aspekte von jungen Künstlern verbessert, andererseits durch die Aktivität des Zeichnens im öffentlichen Raum den Belag der Straßen signifikant zum Positiven verändert. Sämtliche Straßenrisse sollen durch den kreativen und vor allem eigenständig ästhetischen Gebrauch von Bitumen aus speziellen Kannen gekittet werden. So entstehen auf sämtlichen Landstraßen mit der Zeit eng gewobene Zeichnungsgespinste, welche sich durchaus über hunderte von Metern, wenn nicht sogar Kilometern ziehen können.

So eröffnen sich den Künstler völlig neue Möglichkeiten der Realisation.

Nach längerer Beratung der Ausschüsse wurde Laik Wörtschel ein Stipendium in der Gemeinde Möhnesee zugedacht. Er repariert mit Hilfe von Bitumen diese Risse, erstellt riesige Zeichnungen auf den Straßen und kann endlich die Entwürfe realisieren, die er bereits zu Beginn des Studiums zu Papier gebracht hatte. An dieser Stelle kommt ihm nun auch sein eigenes Archivsystem zugute. Sämtliche Zeichnungen, es mögen mehrere tausend Stück sein, wurden als wärmedämmende Maßnahme in Apfelsinenkisten an den Wänden seines Apartments gestapelt. Auch hier zeigt sich im Übrigen, dass Kunst durchaus funktional sein kann, oder zumindest so genutzt werden kann, immer dann, wenn der Nutzer die Offenheit hierfür hat.

IMG_8022

Aus der Reihe „Asphaltics“ von Laik Wörtschel

Sein Repertoire reicht von einfachsten, fast archaisch anmutenden Figurenzeichnungen bis hin zu riesigen Landschaftsformationen. Vor allem Autofahrer sind immer wieder verwundert, wenn sie den jungen Mann auf ihrer Straße stehen sehen, wie er mit einer simplen Kanne die dunkle Flüssigkeit laufen lässt. Immer in höchster Konzentration. Immer mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Er weiß, dass er wieder einmal eine Möglichkeit gefunden hat, die Landschaft nachhaltig zu verändern.

 

 

***

Laik Wörtschel – Ein Künstler der Stille. Katalog Soest, 2009. Edition Das Labor. Hrsg.: Arbeitskreis Asphalt und Beton rund um den Möhnesee.